Vor 78 Jahren endete am 8. Mai offiziell der 2. Weltkrieg. Er hinterließ Traumata und Trümmerberge – und sehr unterschiedliche Arten, damit umzugehen. Zwei Varianten werden hier vorgestellt.

„Volksaktion für Neubauern: Ziegelbergung für Neubauernhöfe im Kreis Dresden“, 27. März 1949
© Deutsche Fotothek / Erich Höhne & Erich Pohl

Der professionelle Blick

In seiner Dauerausstellung zeigt das Stadtmuseum die Fotografie „Ziegelbergung für Neubauernhöfe im Kreis Dresden“. Sie stammt aus dem Jahr 1949 und wurde von Erich Höhne (1912–1999) aufgenommen. Der bei Zeiss Ikon ausgebildete Feinmechaniker und ab 1946 als Fotograf tätige Dresdner gründete mit Erich Pohl 1946 die Bildagentur „Dresdner Bilderdienst“. Sie wurden in der Folge von städtischen Institutionen beauftragt, das Leben in Dresden und Umgebung sowie in Sachsen und Mitteldeutschland zu dokumentieren. In den Nachkriegsjahren wurde Höhne damit einer der wichtigsten Dokumentaristen des zerstörten Dresdens und des Wiederaufbaus. Er erhielt mehrere DDR-Medaillen und -Preise. Der Nachlass der Bildagentur mit ca. 260.000 Kleinbild- und 100.000 Mittelformatnegativen befindet sich seit 1992 in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB).

Die Fotografie Höhnes zeigt eine große Menschengruppe, die gemeinsam versucht, einen Trümmerberg zu beräumen. Die Szenerie ist relativ anonym, man kennt die abgebildeten Personen nicht. Aus dem Kontext ist jedoch bekannt, dass es sich um Trümmer des zerstörten Dresdens handeln muss. Allerdings könnte die Fotografie auch auf jede andere zerstörte deutsche Stadt dieser Zeit transformiert werden.

Konkret handelt es sich um ein Foto aus der Dokumentation „Volksaktion für Neubauern“, die am 27. März 1949 auf dem Fetscherplatz stattfand und an der sich die „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) sowie das Kommunale Wirtschaftsunternehmen (KWU) beteiligten. Höhne dokumentierte hier also nicht eine von vielen Trümmerberäumungen, sondern die konkrete Gewinnung von Ziegeln zum Bau von 5.000 Neubauernhöfen in Sachsen. Die Schaffung dieser Höfe war am 9. September 1947 im Rahmen der Bodenreform von der Sowjetischen Militäradministration als Befehl 209 kommuniziert worden und führte in zahlreichen Städten zur Durchführung dieser sogenannten Volksaktionen – und zum Abriss zahlreicher Schlösser und Gutshöfe. Alle Betriebe und Organisationen waren „aufgefordert“, ihre Belegschaften zu entsenden, was die zahlreiche Beteiligung erklärt.

Beabsichtigt ist hier, ein optimistisches Bild mit einer positiven Ausstrahlung zu vermitteln: Alle packen gemeinsam und begeistert für den Wiederaufbau an! Hier spiegelt sich der Zeitgeist und die damit einhergehende politisch gewollte Vermittlung, welche vor allen Dingen durch die Bildjournalisten reproduziert wurde. Es handelt sich eindeutig nicht um ein spontanes Festhalten einer Alltagsszene oder gar kritischen Bildjournalismus, sondern eine bewusst politisch motivierte Inszenierung. Das Foto sagt damit mehr über die gewünschte Botschaft aus als über die Person, die es aufgenommen hat.

Der private Blick

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Im Gegensatz dazu steht das Fotoalbum einer Privatperson, das 2018 als Schenkung in den Bestand des Stadtmuseums kam. Es stammt von Anneliese Kochte (1922–2007), die darin als Mitglied der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG) den Bau ihrer Wohnung auf der Krenkelstraße und ihre 400 geleisteten Arbeitsstunden dokumentiert.1 Ihr Stiefbruder übergab das Album mit den insgesamt 91 Aufnahmen, die neben dem Ziegelputzen, den Bau des Wohnblocks, Innenraumaufnahmen der Wohnung sowie die Neubebauung des unmittelbaren Umfelds zeigen. Die Fotos entstanden zwischen 1957 und 1963 und wurden in den 1990er Jahren noch durch zwei Farbaufnahmen ergänzt. Dem Album liegen zusätzlich noch einzelne Fotos sowie Stundenauflistungen und ein Zeitungsartikel zur Arbeit der AWG bei.

Frau Kochte dokumentiert etwas zeitversetzt zum Höhne-Agenturfoto: Das Trümmerbergfoto entstand 1949, die früheste Aufnahme im Album ist mit 1957 datiert.

Das zur persönlichen Erinnerung angelegte Album steht im deutlichen Kontrast zum Höhne-Agenturfoto. Letzteres entstand im Auftrag, das Motiv war gezielt ausgesucht und die gewonnene Bildinformation von vornherein gewünscht. Im Gegensatz dazu hält Frau Kochte für sich persönlich einen wichtigen Abschnitt in ihrem Leben fest. Ihre Fotos lassen uns an ihrer Freude und dem Stolz auf das Erreichte teilhaben. Einige Bilder in dem Fotoalbum spiegeln das ganz besonders gut wieder.

Die Vorfreude auf die eigenen vier Wände zeigt bereits ihr erstes eingeklebtes Foto. Es wurde 1957, also noch vor Beginn der Bauarbeiten, aufgenommen und zeigt schlicht das Straßenschild der Krenkelstraße mit einer Informationstafel zum geplanten Bau der Typen-Wohnungen.

Die AWG errichtete diese Mehrfamilienhäuser auf einem Baugebiet an der Holbeinstraße, der Gabelsberger- und der Krenkelstraße.

Das nächste Bild im Album ist bauhistorisch sehr interessant. Es zeigt das trümmerberäumte Baugebiet mit einer Ruine.

Wie oben bereits erwähnt, leistete Frau Kochte ihre Arbeitsstunden als AWG-Mitglied, um die ihr zugeteilte Wohnung in der Krenkelstraße beziehen zu können. Ihre Arbeit bestand zusammen mit anderen Frauen darin, Ziegelmaterial aus dem kriegsbedingt zerstörten Areal für den Bau des neuen Hauses aufzubereiten. Die Bilder zeigen sukzessive, wie aus dem alten Baumaterial neue Häuser, beziehungsweise ihr zukünftiges Zuhause entsteht. 1959 fallen die Gerüste und im Album wird vermerkt: „Es ist geschafft, der letzte Ziegel geputzt“.

Das Fotoalbum enthält nur wenige Aufnahmen mit Personen, auch wenige von ihr selbst. Dafür werden die Zimmer in der neuen Wohnung genauer dokumentiert. Frau Kochte hält die Räume noch im Rohbau fest und nach ihrem Umzug am 1. April 1960 die fertig eingerichteten Zimmer – u.a. die von ihr selbst aus Sperrholzstreifen und Tapetenresten gefertigte Garderobe sowie den Blumenständer „Sputnik“.

Auch die Entwicklungen in der näheren Umgebung werden unter anderem mit dem Abriss einer Villenruine und den Bau eines neuen Baublocks festgehalten. Sie vermerkte dazu: „26.3.60 Die Ruine an der Holbeinstr., das Sorgenkind d. AWG“ und gut ein Jahr später: „Die Ruine ist gefallen! 5.5.61“. Das letzte der insgesamt 91 eingeklebten Bilder zeigt den Blick aus ihrem Wohnzimmerfenster auf den neu entstandenen Block in der Holbeinstraße.

Der Wert der Erinnerungen

Für das Museum ist das Fotoalbum – bei fast 400 Alben in der Sammlung – ein großer Glücksfall, denn so persönliche und gut dokumentierte Einblicke sind ausgesprochen selten. Um objektiv auf das Vergangene schauen zu können, ist es für uns wichtig, so viele Erinnerungen wie möglich zusammenzutragen. Denn die Geschichte einer Stadt wird nicht nur durch politische Ereignisse bestimmt, sondern vor allem durch die Menschen, die in ihr leben.

Es spielt dabei keine Rolle von welcher fotografischen Qualität die Bilder in dem Album sind. Uns zeigen sie, dass es Frau Kochte wichtig war, den Entstehungsprozess ihrer Wohnung für sich festzuhalten. Darüber hinaus vermitteln die Fotografien einen sehr interessanten Einblick in den Wiederaufbau und die baulichen Veränderungen des zerstörten Areals.

Im Nachgang gibt es viele Fragen, die wir Frau Kochte gerne stellen würden. Wie war es beispielsweise – neben dem sicher anstrengenden Alltag und der Arbeit bei Pentacon – noch 400 zusätzliche Arbeitsstunden abzuleisten? Kam sie aus Dresden oder hat sie der Krieg hierhergebracht? Wie war die Hausgemeinschaft? Und hatte sie nach der Fertigstellung des Hauses weiterhin Kontakt zu den anderen Frauen, die mit auf der Baustelle waren?

„10. Oktober 1959, Es ist geschafft! Der letzte Ziegel ist geputzt!“
Bild von Anneliese Kochte auf der Baustelle.

Am Schluss noch ein kleiner Appell: Denken Sie bitte daran, für sich, Ihre Familienangehörigen oder museale Einrichtungen, Fotos oder Alben ausreichend zu beschriften. Den historischen Wert einer privaten Fotografie bestimmen vorrangig die Informationen, die sich dazu erhalten haben. Aus diesem Grund ist es wichtig zu wissen, wer es aufgenommen hat, idealerweise in welchem Zusammenhang und was darauf zu sehen ist. Je detaillierter, desto besser.


  1. Zum System der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften in der DDR siehe: Die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften der DDR auf genostory.de. ↩︎

Der Text basiert auf einer Kurzführung im Rahmen der Reihe „Objekt im Fokus“, die im Februar durchgeführt wurde. Abweichend vom sonstigen Usus, nur ein Objekt aus der Dauerausstellung vorzustellen, wurde zusätzlich auch das Fotoalbum zum Vergleich herangezogen. Wir stellen die damals mündlich vorgetragenen Informationen hier zum 8. Mai noch einmal in überarbeiteter Form schriftlich und etwas erweitert zur Verfügung.