Ein kleiner künstlicher Weihnachtsbaum in der ständigen Ausstellung des Stadtmuseums gibt Rätsel auf. Eine Restauratorin und eine Kustodin gehen auf Spurensuche – aus unterschiedlichen Perspektiven.

Spurensuche mit Draht und Federn

Cornelia Hofmann, Leiterin der Abteilung Restaurierung der Museen der Stadt Dresden

Die Weihnachtsausstellung im Stadtmuseum hatte 2008 das Thema „Unser Weihnachtsbaum. Lichter, Kugeln und Lametta“. Zugegeben, kein sehr aufregender Titel, aber es war eine interessante Ausstellung. Unsere Hauptleihgeberin Frau Wirths lieh dem Stadtmuseum dafür wahre Schätze an Christbaumschmuck, Spanschachteln, Blechdosen, Postkarten, Puppen, Büchern und Lametta. Und sie brachte historische künstliche Weihnachtsbäume mit, darunter Exemplare aus Federn.

Eingangsbereich der Weihnachtsausstellung „Unser Weihnachtsbaum. Lichter, Kugeln und Lametta“ 2008, Foto: © Museen der Stadt Dresden, Franz Zadnicek
Künstliche Weihnachtsbäume in der Sonderausstellung

Bis dahin war ich immer an dem kleinen Kunstweihnachtsbaum in der Abteilung „Demokratien und Diktaturen“ unserer Dauerausstellung vorbeigerannt. Mir nichts dabei denkend, warum ein künstlicher Weihnachtsbaum in einer Ausstellung über Diktaturen des 20. Jahrhunderts steht. Dieser kleine Kerl war nicht etwa für eine Puppenstube oder als Spielzeug bestimmt. Im Gegenteil. Solche Bäumchen wurden extra hergestellt, um im Krieg an die Front geschickt zu werden – per Feldpost.

Weihnachtsbäume für die Front

Die Geschichte dieser Feldpostbäumchen nahm ihren Anfang im Jahr 1914, zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Deutsche Soldaten zogen im August noch patriotisch und siegessicher in den Krieg. Zu Weihnachten, so die herrschende Überzeugung, wären sie längst wieder bei ihren Familien daheim. Die Geschichte zeigt, dass es noch vier weitere lange Jahre dauern sollte, bis sich dieser Wunsch erfüllen konnte. Die Oberste Heeresleitung ließ zur Motivation der Soldaten tausende kleine Christbäumchen produzieren, die Verwandte an ihre Lieben an der Front schicken konnten. So kam es, dass viele tausend Pappschachteln mit dem Vermerk „Eilig! Weihnachtsbaum“ per Feldpost ihren Weg an die Front fanden, um dort zumindest einen Hauch von Weihnachtsstimmung in die Schützengräben zu bringen.1

Originaler Verpackungskarton mit dem Aufdruck „Eilig / Weihnachtsbaum“, Foto: © Stadtmuseum Dresden, Inv.-Nr. SMD_1978_00330
Künstlicher Weihnachtsbaum in der ständigen Ausstellung des Stadtmuseums

An Heiligabend 1914 geschah, was keiner für möglich gehalten hatte: ein kleines Weihnachtswunder. Michael Jürgs beschreibt in seinem Buch „Der kleine Frieden im Großen Krieg“2 diese bewegenden Szenen. Anfangs war es nur ein Einzelner, der „Stille Nacht, Heilige Nacht“ vor sich hin sang. Doch langsam schlossen sich immer mehr Sänger an und Weihnachtslieder durchdrangen die Stille der Nacht. Gegenüber hörten die britischen Soldaten die Feierlichkeiten und beobachteten neugierig das Geschehen im deutschen Lager. Langsam fassten beide Seiten Mut und krochen aus den Schützengräben heraus. Sie gingen aufeinander zu, begrüßten und umarmten sich. Feinde, die sich am Tag vorher noch gegenseitig umbringen wollten, lagen sich in den Armen und feierten gemeinsam Weihnachten. Die Oberbefehlshaber machten jedoch am nächsten Tag die Hoffnungen auf Frieden zunichte. Der Krieg ging weiter. Offiziell wurde die Begebenheit nie von den Heeresleitungen dokumentiert, von den Deutschen wurde sie gar jahrelang als unpatriotische Entgleisung geleugnet. Und doch ging sie als „Weihnachtsfrieden von 1914“ durch Erzählungen und Briefe der deutschen und englischen Soldaten in die Geschichte ein.

Weihnachtbaum im Federkleid

Unser Bäumchen war im Ersten Weltkrieg wohl nicht an der Front. Sein Karton blieb ohne Adressat. Nachdem in unserer Weihnachtsausstellung von 2008 auch Bäume aus Federn auftauchten, sah ich ihn mir genauer an. Er war nicht, wie in der Datenbank vermerkt, aus Papier gefertigt, sondern aus Federn. Doch das sieht man nicht sofort. 

Weihnachtsbäume aus Federn wurden in Deutschland erstmals Ende des 19. Jahrhunderts hergestellt. Diese Bäume gelten als eine der ersten Form von künstlichen Weihnachtsbäumen. Denn bevor die Bäume aus Kunststoff gefertigt wurden (die ja heutzutage täuschend echt aussehen), experimentierte man mit Bastfasern3, Papier und Federn.

Um Objekte restaurieren und für die Ausstellung vorbereiten zu können, beginnt in der Restaurierungswerkstatt die Spurensuche nach den verwendeten Materialien und Verfahren.

Wir Restauratoren sind ein sehr neugieriges Volk. Wir möchten gern herausfinden, wie etwas hergestellt worden ist. Manchmal müssen wir wissen, wie ein Objekt gearbeitet worden ist. Nur so können wir helfen. Wir müssen verstehen, warum ein Schaden so oder so entstanden ist und wie Abhilfe geschaffen werden kann. Meine Neugier war geweckt: Wie wird so ein Federbaum hergestellt? Zeit für ein Experiment, um den Prozess zu verstehen.

Nachbau mit Draht und Federn

Zu Beginn stellte sich mir die Frage, welche Federn für künstliche Weihnachtsbäume überhaupt verwendet wurden. In Büchern wird immer von Gänsefedern berichtet. Ich war bei verschiedenen Federspezialisten. Aber bedingt durch die Herstellung lässt sich die Vogelart für die verwendeten Federn bei unserem Baum nicht wirklich bestimmen. Mein selbstgebauter Federbaum aus Gänsefedern sieht filigraner aus.

Wie geht man nun vor? Als erstes sucht man sich Federn gleicher Größe und Beschaffenheit. Es sollten schon Schwungfedern (also vom Flügel) von Gänsen oder größeren Vögeln sein. Vorzugsweise natürlich weiß. Die Federn werden nach der Fertigung der einzelnen Zweige oder als ganzer Baum gefärbt. Grüne Gänse oder Schwäne gibt es, wie Sie wissen, eher selten.

Die Federn (für einen 20 cm großen Baum ungefähr 10 Federn für 10 Zweige und eine halbe Feder für die obere Spitze sowie bis zwei Federn für den Stamm) werden in der Mitte des Schaftes mit einem sehr scharfen Messer geteilt und die Federfahne gerade verschnitten. Der Trick ist, diese halben Federn sollten anschließend eine Weile (am besten über Nacht) in Wasser eingeweicht werden. Nur so wird der Federschaft weich und lässt sich um den Draht wickeln.

Ein Wickeldraht (grün, braun oder weiß) wird doppelt in der Länge des zukünftigen Astes genommen und verdrillt. In die sich oben bildende Schlaufe wird die Federspitze eingeklemmt. Die Feder sollte zweimal so lang sein wie der Draht-Ast.

Die halbe (noch nasse) Federfahne wird nun um den Draht gewickelt und an ihrem unteren Ende mit dem Draht verdrillt. Dabei gehen die Federäste auf und spreizen sich wie Tannennadeln ab. So fertigt man alle Zweige einschließlich der Spitze an. Zum Schluss verdrillt man die Spitze und die Zweige mit einem als Baumstamm gedrehten Draht. Dieser wird ebenfalls in der Art der Zweige mit einer halben Feder umwickelt.

Nachstellung des Prinzips mit Papier
Zum Schluss werden die einzelnen „Äste“ miteinander verbunden.

Wenn der Baum nicht weiß sein soll (was auch sehr schön aussieht), taucht man die einzelnen Äste oder den ganzen fertigen Baum in grüne Textilfarbe für Seide. Federn nehmen nur widerwillig dauerhaft Farbe an, besonders der halbierte Federschaft, also nicht anschließend auswaschen.

Der Baumstamm kann in ein Holzklötzchen geklebt werden und dann geht es ans Schmücken! Das Ganze kann man, aus Ermangelung von großen weißen Federn, gern auch in Papierform arbeiten. Dazu pro Ast einen 30 cm langen und 2 cm breiten farbigen Papierstreifen nehmen. In diesen Streifen, an der langen Kante, schmale Fransen (das werden die Tannennadeln) schneiden. Das obere Teil wieder in die Öse eines verdrillten Drahtes stecken und den Fransenstreifen eng um den Draht wickeln. Auch so entsteht ein schöner Tannenzweig. Viel Spaß beim Ausprobieren! Und haben Sie bitte viel Geduld. Es funktioniert wahrscheinlich nicht beim ersten Mal. Das weiß ich.

In der Restaurierungswerkstatt nachgestellter Baum aus Federn

Federbäume auch aus Dresden?

Andrea Rudoph, Kustodin für Kultur- & Alltagsgeschichte im Stadtmuseum Dresden

Während der restauratorische Blick das Augenmerk auf die Beschaffenheit des Materials und die angewandten Techniken richtet, stellt sich mir als Kulturwissenschaftlerin die Frage, welche Hinweise es zu solchen Federbäumchen in der Dresdner Stadtgeschichte geben könnte. Leider fehlen bei unserem Exemplar Informationen zu den Besitzer:innen während des Ersten Weltkriegs. Es gibt auch keine Anhaltspunkte am Baum oder am Versandkarton, die auf einen bestimmten Hersteller schließen lassen. Gab es überhaupt in Dresden Fabriken oder Manufakturen, die solche Weihnachtsbäume produzierten? Untersuchungen dazu gibt es bislang nicht. Aber ein Blick in die Werbeanzeigen der Lokalpresse von 1914 erlaubt erste Rückschlüsse. Tatsächlich machten im Dezember 1914 mehrere Dresdner Unternehmen auf ihr Angebot künstlicher Weihnachtsbäume aufmerksam, die für den Versand mit Feldpost geeignet wären. Aus den Annoncen geht in der Regel nicht hervor, wie der Weihnachtsbaum konkret aussah und ob die werbende Firma als Hersteller oder nur als Händler am Vertrieb des Produkts beteiligt war. Welche Art Baum wird man sich also vorstellen müssen, wenn der Dresdner Klempnermeister Otto Graichen unter der Überschrift „Für unsere Krieger!“ in wiederkehrenden Anzeigen für „reizende Christbäumchen, zusammenlegbar“ wirbt? Eingebettet in sein Angebot für metallene Wärmeöfchen, Brotdosen und Trinkflaschen könnte es sich sowohl um einen künstlichen Weihnachtsbaum aus Federn, Papier oder Bast handeln wie auch um ein metallenes Gestell, das als Kerzenhalter in Baumgestalt daherkommt.

Werbeanzeige von Otto Graichen für einen zusammenlegbaren Weihnachtsbaum für Frontsoldaten, Dresdner Anzeiger, 17.12.1914, Foto: © Stadtmuseum Dresden

„Kleine Christbäumchen als Weihnachtsgabe für unsere Krieger, z(um). Versand als Feldpostbriefe, liefert Heinrich Grotjan, Hassestraße 3, Hth. (= Hinterhaus)“ (Dresdner Nachrichten, 4.12.1914, Frühausgabe). So lautet die Annonce eines Dresdner Herstellers von Kartonagen, papiernen Festartikeln und Christbaumschmuck aus Pappe.4 Heinrich Grotjan war wie viele andere Dresdner Firmen aus dem Bereich der sogenannten Luxuspapier-Produktion auf die Ausstattung mit Dekorationsartikeln für Sommerfeste, Bälle oder Karnevalsfeiern spezialisiert. Zu deren Produktportfolio gehörten neben Verpackungen auch Kunstblumen aller Art. Daher wundert es nicht, dass bereits 1907 in einem Warenkatalog der Dresdner Cotillonfabrik E. Neumann & Co. ein künstlicher Weihnachtsbaum mit „höchster Natürlichkeit“ als Tischdekoration angeboten wurde.

Angebot einer knapp 40 cm hohen künstlichen Zimmertanne im Katalog von E. Neumann & Co., Dresden, 1907.
Foto: © Stadtmuseum Dresden, Inv.-Nr. SMD_SD_2021_00255

Solche Luxuspapier- und Kartonagefabriken boten ihren Kunden oft einen Mix aus selbst produzierten und zugekauften Artikeln als Gesamtpaket an. Künstliche Blumen, Blätter und Bäume wurden nicht notwendigerweise von ihnen selbst gefertigt. Teils lieferten dies darauf spezialisierte Firmen. Ein solcher Dresdner Hersteller, die Blumenfabrik Martin Tschirn, annoncierte im Dezember 1914 mehrfach in den Dresdner Nachrichten: „Jedem Held im Feld unseren Weihnachtsgruß aus der Heimat. Tannenbäumch(en). m(it). Licht u(nd). Widm(ung). von 40 ₰ (Pfennig) an, Tannenästchen mit Widmung von 15 ₰ (Pfennig) an usw. Vieles andere, alles auch fertig gepackt als Feldpostbrief.“ (Dresdner Nachrichten, 4.12.1914, Frühausgabe) Doch auch hier geben weder Text noch Werbeabbildung Aufschluss darüber, woraus der Weihnachtsbaum gefertigt wurde. Die bislang einzige bekannte Nennung von Dresdner Weihnachtsbäumen aus Federn stammt von einem anderen Kunstblumenhersteller, von Hermann Hesse.

Von Federboa bis Weihnachtsbaum

Carl Hermann Hesse (Hinterhermsdorf, 3.5.1868 – 14.1.1945, Dresden) war ein Blumenfabrikant, der aus der für die Fertigung von Kunstblumen bekannten Region rund um Sebnitz stammte. Seit 1890 lebte er in Dresden und machte sich drei Jahre später mit dem Handel von künstlichen Blumen selbstständig. Ab 1895 fertigte er in einem 1-Mann-Betrieb gewerblich seine eigenen Kunstblumen für den Verkauf. Aus diesen bescheidenen Anfängen ging 1902 seine nun „Manufactur künstlicher Blumen Hermann Hesse“ getaufte Firma hervor, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in der Scheffelstraße 12 ansässig war.

Für die Herstellung der Kunstblumen kamen allgemein Papier, Bast, textile Stoffe, Metallfolien und ähnliches zum Einsatz. Da Hermann Hesse aber neben den Blumen für die Raumdekoration auch sogenannten Putz für Kleidung, Hüte sowie sonstige Accessoires wie Federboas fertigte, gehörte für ihn die Verarbeitung von Federn zum gewohnten Tätigkeitsfeld.

Preisliste der Manufaktur künstlicher Blumen Hermann Hesse für verschiedene Produkte aus Federn, um 1913. Foto: Stadtmuseum Dresden, Inv.-Nr. SMD_SD_2015_00443

Die Bewerbung seiner künstlichen Weihnachtsbäume im Dezember 1914 versteckt sich deshalb eher unter der großen Überschrift „Das beste Geschenk für Damen ist eine solche Feder!“, der erst einmal Informationen zum Angebot von Reiher-Federn und Stolas folgten (Dresdner neueste Nachrichten, 4.12.1914). Auch später muss man die Information über „Kleine Christbäume Stück 1, 2, 5, 10, 25 Pf.“ in den Werbeanzeigen für Straußenfedern fast suchen (Dresdner neueste Nachrichten, 11.12.1914). Erst ein Jahr später, im Dezember 1915, sind sie eine eigenständige Werbeanzeige wert, die nun mehrfach in der Dresdner Volks-Zeitung mit der Überschrift „Künstliche Christbäume aus Federn“ klar das Produkt und das Herstellungsmaterial benennt (Dresdner Volks-Zeitung, 4.12.1915). Entweder als 5 oder 10 cm hohe Mini-Bäumchen waren sie zu haben. Wie lange Hermann Hesse solche Feder-Bäume noch produzierte, in welcher Auflagenhöhe sie hergestellt wurden und nicht zuletzt wie sie tatsächlich aussahen, ist bislang noch nicht bekannt. Dazu wie auch zur weiteren Entwicklung der Firma, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch bis mindestens in die Mitte der 1970er Jahre in der Grünen Straße 15 mit Kunstblumen handelte, sind erst weitere Nachforschungen notwendig.


  1. Angela Buchfelder: Weihnachtsbaum per Feldpost. www.onetz.de/oberpfalz/grafenwoehr/weihnachtsbaum-feldpost-id2581012.html, 17.12.2018. Kultur- und Militärmuseum Grafenwöhr: Frontchristbäumchen erinnert an Frieden. https://museum-grafenwoehr.de/kleiner-baum-mit-grosser-wirkung/, 22.12.2020. ↩︎
  2. Michael Jürgs: Der kleine Frieden im Großen Krieg. Westfront 1914: Als Deutsche, Franzosen und Briten gemeinsam Weihnachten feierten. München 2003. ↩︎
  3. von Bäumen (insbesondere Eiche, Linde, Weide und Ulme) ↩︎
  4. www.dresdner-pappe.de/dresdner-pappe-hersteller ↩︎

Der Beitrag entstand im Rahmen der Reihe „Objekt im Fokus“.

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