Als wir im Stadtmuseum im Sommer 2019 aus Anlass des Bauhaus-Jubiläums die moderne Architektur der 1920er Jahre in Dresden genauer betrachtet haben, ist uns ein Architekt besonders aufgefallen: Hans Richter (1882 – 1971). Die Bauten des Deutschböhmen haben uns durch Sensibilität und Radikalität gleichermaßen beeindruckt. Doch wollte man sich damals über sein Gesamtwerk informieren, kam man nicht sehr weit: Richter hatte 1945 beim Bombenangriff auf Dresden sein Archiv verloren und war 1971 kinderlos verstorben. Fast ausschließlich zu einem seiner wichtigsten Projekte in Dresden gab es schon Untersuchungen: zur Großsiedlung in Dresden-Trachau. Diese Siedlung war auch für unsere Ausstellung „Dresdner Moderne 1919 – 1933. Neue Ideen für Stadt, Architektur und Menschen“ ein wichtiges Objekt, denn an ihr konnten zahlreiche Innovationen der Zeit wie Flachdächer, Laubenganghäuser, Dachterrassen usw. dargestellt werden.

Siedlung Dresden-Trachau (Teilansicht), ca. 1933, SMD/Ph/2003/06884

Die weiteren Recherchen haben zu den wenigen noch erhaltenen Originalplänen geführt, z. B. für ein faszinierendes Hochhausprojekt, das aber auf dem Papier geblieben war. Man hätte es leicht auf die 1960er Jahre datieren können, aber tatsächlich stammte es aus dem Jahr 1930.

Entwurf für ein Hochhaus am Pirnaischen Platz in Dresden, 1930/31, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, Plansammlung, Inv.-Nr.2019/1

Auf einer kurzen Exkursion nach Böhmen (damals konnte man noch reisen!) fand sich zwar nicht die eigentlich gesuchte Fabrik, aber eine Villa in Šluknov war verdächtig: Könnte das nicht „ein Richter“ sein? Die Bestätigung kam ca. 1 Stunde vor Eröffnung der Ausstellung „Dresdner Moderne“ von einem tschechischen Kollegen – großartig!

Villa Pietschmann in Šluknov, 2019, Foto: Claudia Quiring

Dann drängten sehr schnell andere Projekte – die Faszination für Richter aber blieb. In den letzten Monaten konnte sie nun in einem deutsch-tschechischen Gemeinschaftsprojekt weiterverfolgt werden.

Projektentwicklung

Die Erforschung des Gesamtwerkes von Hans Richter konnte nur grenzüberschreitend funktionieren. Wer dabei sein sollte und konnte, war auch recht schnell klar: Martin Krsek, Kurator vom Stadtmuseum Ústí nad Labem, war die oben erwähnte Šluknov-Bestätigung zu verdanken. Er hatte sich bereits mit der Villa Heller in Ústi von Hans Richter beschäftigt. Vonseiten des Stadtmuseums wirkte die Autorin dieses Textes und Kuratorin der Ausstellung zur Dresdner Moderne mit.

Doch was war zu schaffen? Ein Buchprojekt erschien aufgrund der Quellenlage nicht realistisch und sinnvoll. Lieber sollte das Ergebnis offener und einfach zugänglich sein: eine Webseite! Unser Ziel wurde also die Erstellung einer zweisprachigen Webseite mit Schwerpunkt auf den noch bestehenden Bauten. Die wichtigsten Informationen zum Wirken von Richter sollten zusammengetragen und kompakt abrufbar präsentiert werden.

Villa Heller in Ústí nad Labem, Zustand 2020, Foto: Till Schuster

Fehlschläge und Überraschungen

Der beste Ausgangspunkt für ein solches Projekt ist ein umfangreicher Nachlass – hübsch aufbereitet in einem Museum, Archiv oder bei den Nachfahren und über eine Datenbank bequem vom Schreibtisch abrufbar. Doch bei Richter war es etwas anders. Die wichtigsten Eckdaten, auch zur Ausbildung waren bekannt, aber kein Nachlass und keine Nachkommen greifbar.

Geburtshaus von Hans Richter in Šluknov, Zustand 2021, Foto: Martin Krsek

Die Todesanzeige von 1971 legte nahe, dass uns nur Richters Schwester bzw. wohl eher noch lebende Kinder weiterhelfen könnten. Doch wir konnten sie nicht ausfindig machen – Hinweise erbeten!

Todesanzeige Hans Richter, 1971

Dabei muss der Nachlass, trotz des kriegsbedingten Neuaufbaus nach 1945, durchaus eindrucksvoll gewesen sein. Das hat uns eine Zeitzeugin berichtet, die wir entgegen aller Hoffnungen doch noch ausfindig machen konnten: die Architektin Brigitte Lobers. Sie hatte Hans Richter in den 1960er Jahren als Architekturstudentin kontaktiert, da sie eine Studienarbeit über die Siedlung Trachau, in der sie selbst aufgewachsen war und bis heute lebt, anfertigen wollte. Bis zu Richters Tod 1971 besuchte sie ihn immer wieder. Sie erinnert sich an einen Neffen von Hans Richter (leider ohne Namen), eine eindrucksvolle Bibliothek und eine große Musiksammlung. Auch moderne Kunst hätte Richter sehr interessiert, was sich z. B. in einem Werk von Oskar Kokoschka in seiner Wohnung gezeigt habe. Die über Literatur und Archivalien dokumentierte Mitgliedschaft in der Dresdner Künstlervereinigung bestätigt diese Wahrnehmung ebenso wie seine Tätigkeit im Akademischen Rat des Sächsischen Kultusministeriums, die ihm „als Wegbereiter der modernen Architektur“ zusammen mit dem Titel „Baurat“ 1929 übertragen worden war.

Einige Dokumente und Zeitungsartikel, drei Aquarelle sowie mehrere fotografische Reproduktionen von Richter-Plänen sind in das Privatarchiv von Brigitte Lobers eingegangen und konnten eingesehen werden.

Brigitte Lobers vor einem der Aquarelle von Hans Richter, 2021, Foto: Museen Dresden / Sophie Arlet

Das war nicht viel, aber das Material gab dennoch wertvolle Hinweise auf weitere Bauprojekte, z. B. in Leipzig und für Berlin, sowie auf Richters Aktivitäten während des „Dritten Reiches“. Ein Kapitel, das noch gänzlich ungeschrieben ist, denn die Zeitgenossen haben es gerne übersprungen oder sehr pauschal als für Richter schwierig zusammengefasst.

Neue Funde und Erkenntnisse

Einem von Richter recht spät selbst verfassten Lebenslauf konnten wir nun konkretere Hinweise auf eine Verhaftung um 1945 entnehmen. Diese war in Zeitungsartikeln zu runden Geburtstagen Richters neben dem Hinweis auf „Verfemung“ und dem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen als „Vertreter des `Neuen Bauens´ und Sozialist“ zwar auch schon einmal erwähnt worden. Aber es klang dort so, als sei diese Verhaftung in Dresden erfolgt. Doch weit gefehlt! Richter war nach dem Bombenangriff auf Dresden vom 13. Februar 1945, bei dem er alles verlor, kurzzeitig in seine böhmische Heimat zurückgekehrt. Über die neuen Erkenntnisse informiert, hat der Kollege aus Ústí im entsprechenden Archiv nachgehakt und konnte schon am nächsten Tag die Dokumente liefern! Danach war Richter wegen kritischer Reden verhaftet worden, durch die Vertreibung der Deutschen aber einer Verurteilung entgangen. Der aus den tschechischen Dokumenten ebenso hervorgehende Beitritt zur NSDAP konnte wenig später durch die im Bundesarchiv erhaltene Mitgliedskarte auf Mai 1933 datiert werden. Einigen weiteren spannenden Hinweisen auf die Mitarbeit an den Planungen von Albert Speer für Berlin konnten wir jedoch aufgrund der Corona-Einschränkungen nicht weiter nachgehen: Die entsprechenden Archivalien sind momentan nicht zugänglich.

Claudia Quiring beim Planstudium im Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, Foto. Museen Dresden / Sophie Arlet

Doch die Materialien aus dem Lobers-Archiv sowie weitere Recherchen haben uns auch jetzt schon zu einer Fülle von neuen Erkenntnissen geführt: Mal wurde auf tschechischer, mal auf deutscher Seite ein Puzzleteilchen gefunden. So konnten wir z. B. in Liberec die Schülerakten Richters an der Baugewerkeschule einsehen, eine Tätigkeit in Aussig/Ústí nachweisen, einige Bauprojekte näher klären und/oder identifizieren (z. B. das Haus Adalbert Richter in Wölmsdorf/Vilémov) und einige ganz neu aufstöbern: Die Villa Kumpf (inklusive der Originalpläne) und die Garagen für F. X. Richter in Wölmsdorf/Vilémov, seine Entwürfe für den Umbau des Landtages, den Neubau von Pionierpalast und Theater der jungen Generation sowie Kirchen in Dresden, das Opernhaus in Leipzig und weitere Objekte. Diese Daten sind in das neu erstellte und gegenüber früheren Forschungen stark erweiterte Werkverzeichnis eingeflossen.

Dachbodenfunde in der Villa Kumpf: Martin Krsek mit Paketrollen aus Dresden, Foto: Jiří Preclík

Eine Intensivrecherche in der Fotosammlung des Stadtmuseums hat zudem einige von Richter selbst beschriftete und mit Monogramm versehene Fotografien ans Tageslicht gebracht. Wir haben sie parallel zum Webseitenprojekt in die Sammlungsdatenbank der Museen der Stadt Dresden eingespeist: http://sammlungsdatenbank-museen-dresden.de.

Entwurf für die Sozialversicherungsanstalt in Dresden (Reprofotografie), 1947, SMD/Ph/2021/00036

Die Bauten Richters in Böhmen und Sachsen konnten wir in einem kurzen Reisezeitfenster professionell fotografieren lassen und haben die neuen Erkenntnisse für die Webseite knapp zusammengefasst. Damit sind ganz klar noch nicht alle Fragen zu Hans Richter geklärt und es sind auch neue aufgetaucht. Wir konnten auch nicht alles aufschreiben, da es für den gewählten Fokus schlicht zu viel geworden wäre. Aber wir bleiben dran und unser Projektziel ist erstmal erreicht: www.hans-richter.eu. Viel Spaß beim Stöbern durch die von Richter so genannte „Sachlichkeit mit etwas Heiterkeit“ und hoffentlich auch bald wieder beim Reisen!

Seiden- und Wirkwarenfabrik Schindler in Krásná Lípa, Zustand 2020, Foto: Till Schuster

Das Webseitenprojekt wurde gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.

Verwendete Literatur und Verweise:

Karl-Heinz Löwel, Zur Baugeschichte einer Wohnungsbaugenossenschaft: Die Großsiedlung Dresden-Trachau, Dresden 2012.

Fritz Löffler: Verfechter modernen Baugeschehens. Architekt Hans Richter 80 Jahre, in: Die Union, 14.4.1962.

Rudolf Pfister: Architekt Hans Richter, Dresden – 75 Jahre alt, in: Der Baumeister 54. Jg., 1957, S. 663.

Fritz Löffler: Architekt Hans Richter 85 Jahre, in: Die Union, 14.4.1967

siehe auch: Kat. Dresdner Moderne (Dresdner Moderne 1919–1933 | Neue Ideen für Stadt, Architektur und Menschen (sandstein.de))