Das Interview ist Teil der begleitenden Blog-Reihe zur Intervention Rethinking Stadtgeschichte: Perspektiven jüdischer Geschichten und Gegenwarten in der Dauerausstellung des Stadtmuseums Dresden 2021/2022. Angesichts der aktuellen Überlegungen zu einem Jüdischen Museum für Sachsen kommen an dieser Stelle Akteurinnen und Akteure, die sich mit dem Thema beschäftigen, Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden in Sachsen, von Politik und Gesellschaft sowie Expertinnen und Experten mit ihren Standpunkten, Ideen, Kritiken und Perspektiven zu Wort.

Zur Einführung in die aktuelle Museumsdebatte

Lucas Müller, Foto: privat

Zur Person:

Der pensionierte Architekt Lucas Müller lebt in Dresden. Er war beim Büro Stadtarchitekten Dresden, bei der Aufbauleitung Wiederaufbau Semperoper und im Staatshochbauamt tätig. Er ist Gründungsmitglied und seit 2004 Vorsitzender des Gottfried-Semper-Clubs in Dresden.  Seit einigen Jahren engagiert er sich für den Wiederaufbau des Palais Oppenheim.

(1) Was halten Sie von der Idee, ein „jüdisches Museum“ in Sachsen einzurichten?

Die Schaffung eines Museums für jüdische Geschichte und Kultur in Sachsen und speziell in Dresden wäre sehr wichtig und gut, um die vielfältigen geschichtlichen Bezüge jüdischen Lebens und ihre allgemeine Einbindung in die europäische kulturelle Entwicklung darzustellen. Auch der historische Bezug zu den Nachbargebieten wie Böhmen mit Prag, Teplitz und Leitmeritz sowie Schlesien mit der Universitätsstadt Breslau, zugleich Sitz des Jüdisch-Theologischen Seminars zur Rabbinerausbildung, erscheint mir hierbei wichtig. In Dresden gab es ja bereits im 18. Jahrhundert ein jüdisches Museum, eines der ersten im deutschsprachigen Raum, das sogenannte Juden-Cabinet im Wallpavillon des Zwingers (1735–1835). Dort gab es ein Modell des Tempel Salomonis, eine Rabbinerfigur, Thorarollen und viele andere jüdische Kultus- und Brauchtumsobjekte zu sehen.


(2) Wo und wie sollte jüdische Geschichte und Gegenwart zugänglich gemacht werden?

Die Gründung eines „jüdischen Museum“ – ein schwieriger Begriff – erscheint mir nicht einfach, da die Jüdische Gemeinde zu Dresden derzeitig kein Museum schaffen und unterhalten kann. Ein solches Ziel kann also nur die Stadtgesellschaft im Zusammenwirken mit dem Land Sachsen und dem Bund erreichen. Das Museum könnte dabei Teil eines Zentrums für jüdische Kultur und Geschichte sein, in dem eine Ausstellung entweder gleich mit eingerichtet würde oder auch nach und nach entstehen könnte. Es müsste ein offenes Zentrum der Begegnung und des gegenseitigen Austausches sein. Wie in München sollte darin auch eine jüdische Buchhandlung untergebracht sein und auch weitere Nutzungsmöglichkeiten offenlassen, etwa als Kunstgalerie. Der Semper-Club Dresden hat dazu auch schon einmal eine Konzeptidee entwickelt.

Aufgrund der Entwicklung jüdischen Lebens hier vor Ort und der Bedeutung der Stadt für diese Geschichte sollte eine solche Einrichtung auf jeden Fall hier in Dresden beheimatet sein. Dafür würden auch die Verbindungslinien von Prag und Berlin nach Dresden eine große Rolle spielen, über die Gäste aus Europa, Amerika und Israel – auch ehemalige sächsische Jüdinnen und Juden – an die Elbe finden werden.

Als Standort in Dresden schlage ich den Neubau und die entsprechende Nutzung des ehemaligen Palais’ Oppenheim an der Bürgerwiese vor, das viele Voraussetzungen für ein jüdisches Kulturzentrum mit Museum erfüllen würde. Leider sehr in Vergessenheit geraten ist, dass das Palais im 19. Jahrhundert Ausgangspunkt für zahlreiche Impulse für die geschichtliche Entwicklung in Stadt und Land war: Hier wohnten große Mäzene und Förderer, hier wurde die Idee des Reformjudentums vorangetrieben. Außerdem war das Palais Anlaufstelle für viele berühmte Persönlichkeiten der Zeit, darunter Ludwig Tieck, Ernst Moritz Arndt, Alexander von Humboldt, Berthold Auerbach, Karl Gutzkow, Ernst Rietschel, Julius Schnorr von Carolsfeld, Eduard Bendemann, Julius Hübner, Felix Moscheles, Alfred Redl, Hermann Hettner, Eduard und Emil Devrient, Michail Alexandrowitsch Bakunin und viele andere. Nach dem Umbau des Palais 1874 waren dort auch Clara und Robert Schumann.

Der Alte Leipziger Bahnhof, der jetzt auch für ein jüdisches Museum im Gespräch ist, kann dies nicht erfüllen. Dort ist der historische Bezug faktisch nur auf ein kleines Zeitfenster beschränkt, nämlich den Holocaust. Dafür sollte es dort natürlich auch ein besonderes Denkmal für die Erinnerung geben. Auch die Lage des Bahnhofsareals außerhalb des 26er-Ringes und die zu große Entfernung vom Stadtzentrum, in dem sich der Großteil des kulturellen Lebens der Elbestadt abspielt, sprechen eher gegen diesen Vorschlag. Der Standort des ehemaligen Palais’ Oppenheim wäre dagegen nur etwa 800 Meter von der Neuen Synagoge und nur 700 Meter vom Hauptbahnhof entfernt. Der Theaterplatz liegt etwa einen Kilometer entfernt und ist damit immer noch gut erreichbar. Dies sind Gesichtspunkte, die unbedingt berücksichtigt werden sollten.


(3) Was kann und was sollte präsentiert werden?

Das geistige und kulturelle Leben von Jüdinnen und Juden, ihr Interesse für Kunst, Literatur und Musik insbesondere hier in Dresden. Wir haben Forschungen zum ehemaligen Juden-Cabinet und auch in anderen Einrichtungen finden sich mögliche Geschichten und Objekte, wenn man etwa an verschiedene Bestände in der Universitätsbibliothek in Leipzig denkt. Weiteres Material ist zu erschließen. Auch die Baugeschichte der Sempersynagoge und ihre Vorbildwirkung für die Synagogenarchitektur im deutschsprachigen Raum kann herausgehoben werden. Semper war es auch, der das 1945 bei den Luftangriffen zerstörte Palais Oppenheim baute, dessen Ruine 1952 abgetragen wurde. Hier wäre also ein Wiederaufbau erforderlich – ähnlich also, wie bei der Neuen Synagoge, die ja auch am historischen Ort errichtet wurde.

Etwas erfahren sollte man in einem jüdischen Museum auch über das Reformjudentum, für das hier in Dresden insbesondere der aus Teplitz kommende Oberrabbiner Zacharias Frankel stand, der über Europa hinaus mit seinen Vorstellungen einflussreich war.


(4) Wer soll erreicht werden?

Erreicht werden sollte besonders die jüngere Generation, die überhaupt erst einmal mit den Grundfragen und der Geschichte jüdischen Lebens vertraut gemacht werden müssten, wobei alle Bereiche – also auch Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft – zu thematisieren wären. Dabei muss auch im Vordergrund stehen, dem Antisemitismus entgegen zu wirken, was nur durch Aufklärung und historisch-politische Bildung erreicht werden kann.

(5) Wenn Sie ein museales Objekt auswählen könnten, das Sie als besonders aussagekräftig für Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens halten, welches wäre das – und warum?

An Material ist in Dresden ja nicht sehr viel erhalten. Aber natürlich gibt es solches in verschiedenen Einrichtungen, etwa eine Thorarolle in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, einzelne Kunstgegenstände, etwa im Dresdner Kunstgewerbemuseum, und auch an Architekturmodelle – etwa der früheren Sempersynagoge und anderen Gebäuden mit jüdischem Bezug in Sachsen – wäre hier zu denken. Kopien von Objekten des Dresdner Juden-Cabinets finden sich noch immer in der Leipziger Universitätsbibliothek. Und natürlich müssen angesichts der technischen Möglichkeiten digitaler Medien auch räumliche Simulationen für Besucherinnen und Besucher erfahrbar gemacht werden. Das ist übrigens etwas, was auch Michael Hurshell, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, besonders wichtig findet.


(6) Was sollte in der Debatte um ein Jüdisches Museum als nächstes passieren?

Die Gespräche und der Austausch über ein Zentrum für jüdische Kultur und Geschichte mit jüdischem Museum muss in einer breiten gesellschaftlichen Debatte erfolgen – oder besser: Diese müsste überhaupt erst einmal angeregt werden. Nur so kann jüdische Geschichte und Kultur wieder ins Bewusstsein der Menschen getragen werden. Außerdem sollte in Vorbereitung eines solchen Museums – unabhängig von seinem zukünftigen Standort – zunächst erst einmal eine wissenschaftliche Konzeption erarbeitet werden, an der hier in Dresden möglicherweise auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden oder des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung partizipieren könnten. Aber natürlich gibt es auch andernorts Fachleute, die eine solche Studie gewinnbringend unterstützen könnten.

Das Palais Oppenheim an der Bürgerwiese, Fassade zur Bürgerwiese hin, Foto: Archiv H. Laudel
Visualisierung eines Neubaus des Palais Oppenheim, Foto: Büro Hummel