Gastbeitrag von Daniel Ristau

Das Interview ist Teil der begleitenden Blog-Reihe zur Intervention Rethinking Stadtgeschichte: Perspektiven jüdischer Geschichten und Gegenwarten in der Dauerausstellung des Stadtmuseums Dresden 2021/2022. Angesichts der aktuellen Überlegungen zu einem Jüdischen Museum für Sachsen kommen an dieser Stelle Akteurinnen und Akteure, die sich mit dem Thema beschäftigen, Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden in Sachsen, von Politik und Gesellschaft sowie Expertinnen und Experten mit ihren Standpunkten, Ideen, Kritiken und Perspektiven zu Wort.

Zur Einführung in die aktuelle Museumsdebatte

Nora Pester (Foto: Christiane Gundlach)

Zur Person:

Die gebürtige Leipzigerin Dr. Nora Pester studierte in Leipzig und Wien Hispanistik, Politikwissenschaften und Volkswirtschaftslehre. Seit 2010 ist sie Inhaberin des Verlages Hentrich & Hentrich in Berlin/Leipzig, der auf Themen der jüdischen Geschichte und Kultur spezialisiert ist. Darüber hinaus engagiert sie sich ehrenamtlich für die Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in Sachsen in diesem Themenfeld (https://www.netzwerk-juedisches-leben.org/).

(1)    Was halten Sie von der Idee, ein „jüdisches Museum“ in Sachsen einzurichten?

Ich unterstütze diese Initiative, um die Sichtbarkeit jüdischen Lebens in Geschichte, aber auch Gegenwart in dieser Region zu erhöhen. Bisher gibt es keine wirkliche Institutionalisierung dieser Geschichte. Es gibt hochinteressante Einzelprojekte in den stadtgeschichtlichen Museen, in Erinnerungsorten, auch an jüdischen Orten. Dies zusammenzubringen, in welcher Form auch immer, halte ich insbesondere in Ostdeutschland, wo das doch noch in gewisser Weise ein Desiderat im Vergleich zu anderen Regionen in Deutschland ist, für ein sehr wichtiges Projekt.


(2)    Wo und wie sollte jüdische Geschichte und Gegenwart zugänglich gemacht werden?
Jüdische Geschichte beziehungsweise jüdisches Leben war immer in Bewegung, freiwillig und unfreiwillig, und ich denke, das sollte sich auch in diesem Konzept widerspiegeln, das alle Orte und Akteure in Sachsen mitnimmt. Um Beispiele zu nennen: Leipzig, Dresden, Görlitz, Meißen, Chemnitz – es gibt auch noch andere. Ich würde mir daher wünschen, dass man sich nicht von Beginn an auf einen festzementierten Ort festlegt, sondern auch in der räumlichen Auswahl der Form dieser Geschichte Rechnung trägt und über ein dezentrales Konzept sachsenweit diese Sichtbarkeit erzeugt.

(3)    Was kann und was sollte präsentiert werden?
Mir persönlich wäre es besonders wichtig, sich nicht nur auf die Zeit des Nationalsozialismus und der Shoah zu beschränken, und damit auch wieder der Täterschaft und dem NS-System großen Raum einzuräumen, sondern wirklich die jüdische Geschichte davor, die ja bis ins Mittelalter zurückreicht, mit all ihren Blüten und Verwerfungen, darzustellen. In Bezug auf Leipzig wären das ganz besonders die Beiträge der jüdischen Bürger*innen zur Musikstadt Leipzig, zur Buchstadt, zur Pelzstadt – also alles, was auch noch heute, und jetzt spreche ich als Leipzigerin, diese Stadt ausmacht, ihr Selbstbild, ihren Charakter und was auch ihre Imagekampagnen prägt – denn das ist auch ganz klar auf die Aktivitäten und Leistungen von jüdischen Leipziger*innen in dieser Stadt zurückzuführen. Ich wünsche mir, dass man diese Spuren in der Geschichte, ihre Orte und Menschen, die bis in die Gegenwart hineinwirken, sichtbar macht. Es ist ja nicht so, dass alles schon aufgearbeitet und archiviert wäre, das stimmt nicht, es gibt noch viele Leerstellen und unerzählte Geschichten.

(4)    Wer soll erreicht werden?
Das hehre Ziel ist ja immer, möglichst viele bis alle zu erreichen. Aber wenn ich das mal ein bisschen eingrenze, dann tatsächlich die Generationen, die keine Zeitzeugenschaft mehr erleben werden. Wir und die Älteren hatten ja zumindest noch die Chance, mit Zeitzeug*innen ins Gespräch zu kommen. Den jüngeren Generationen bleiben nur Aufzeichnungen und Objekte, mit denen man natürlich auch in ein dialogisches Prinzip treten kann. Dieser didaktische Aspekt ist sicher nicht zu unterschätzen. Aber es richtet sich auch an alle, die sich für die Geschichte ihrer Wohn- und Heimatorte interessieren, weil es oftmals noch „blinde Flecken“ in der Stadtgeschichte sind, die man hier ausleuchten sollte. Ich denke aber auch an die Nachkommen von ehemaligen jüdischen Bürger*innen dieser Orte, die über die ganze Welt verstreut sind, die immer wieder an uns herantreten und sagen: Wir haben hier Dokumente, Erinnerungen und Objekte. Wir möchten wieder die Verbindung zur Heimat unserer Vorfahren herstellen und auch selbst etwas zur Erinnerung beitragen und diese Sichtbarkeit befördern.

(5)    Wenn Sie ein museales Objekt auswählen könnten, das Sie als besonders aussagekräftig für Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens halten, welches wäre das – und warum?
Da antworte ich als Verlegerin: Mich beeindruckt besonders der Beitrag von jüdischen Buchmachern – und da meine ich nicht nur jüdische Verleger, sondern auch Typografen –, zur jüdischen Buchkultur. Ich denke dabei etwa an hebräische Schriftsätze, die bis heute auch in Israel verwendet werden und ihren Ursprung hier in Leipzig haben. Natürlich gab es hier viele jüdische Verleger, die ein ganz breites inhaltliches Spektrum veröffentlicht haben. Aber sie haben auch einen substanziellen Beitrag zur jüdischen und hebräischen Schrift- und Buchkultur geleistet, die bis heute nachwirkt. Und das finde ich als Verlegerin faszinierend.

(6)    Was sollte in der Debatte um ein Jüdisches Museum als nächstes passieren?

Ich würde mir wünschen, dass jetzt eine Vernetzung der Akteur*innen und Initiativen, die es ja bereits gibt, stattfindet, um gemeinsam die bestmögliche Lösung zu finden und das nicht auf begrenzte Räume zu reduzieren. Insbesondere zwischen Leipzig und Dresden sollte eine Zusammenarbeit hergestellt werden, um ein gemeinsames Ziel zu definieren.

Bücher des Verlags Hentrich & Hentrich (Foto: Hentrich & Hentrich)
Bücher des Verlags Hentrich & Hentrich (Foto: Hentrich & Hentrich)