Partizipation wird heute großgeschrieben – nicht nur im Museum, sondern auch als „Bürgerdialog“ im Stadtplanungsbereich. Aber das Phänomen ist nicht neu. Wir stellen ein historisches Beispiel vor: das 100.000 RM-Preisausschreiben für die Ausstellung „Das neue Dresden“ 1946.

Hintergrund und Vorbereitungen der Ausstellung „Das neue Dresden“

Nach den großflächigen Zerstörungen der Dresdner Innenstadt im Februar 1945 beschäftigte Planende und Bevölkerung gleichermaßen die Frage, wie die Stadt wieder aufgebaut werden sollte. Nach einer ersten Präsentation von städtischen Aufbauplänen im Januar 1946 fand von Sommer bis Herbst 1946 die große Ausstellung „Das neue Dresden“ statt, die den aktuellen Stand präsentieren sollte.1 Im Vorfeld waren sowohl Fachleute als auch Laien im Rahmen eines Preisausschreibens zur Beschäftigung mit dem Thema aufgerufen worden. Laut Nachrichtenamt sollte so „eine breite demokratische Grundlage“ gewährleistet werden.2 Ein wesentlicher Teil der Ausstellungsfläche in der damals sogenannten Nordhalle (heute Militärhistorisches Museum) sei daher auch für die Präsentation von Ergebnissen des „100.000-RM-Preisausschreibens“ reserviert.

Veröffentlichung des Preisausschreibens, Januar oder Februar 1946, Dresdner Tageszeitung, Stadtmuseum Dresden, Stadtchronik

Teilnehmen konnten „alle Künstler, Baumeister und Architekten und […] alle, die am Aufbau Dresdens interessiert sind“ und es wurde klargestellt, dass „Alle Ideen, alle Pläne, alle Vorschläge in Skizzen, Beschreibungen Entwürfen oder in vollendeter Ausführung oder in Modellen […] ausgestellt werden [können].“ Gesamtpläne zum Wiederaufbau, für Siedlungen, Einzelvorschläge zu Bauten (wie Theater, Bahnhof o.ä.) und Lösungen zur Rohstoffverwertung sowie technische Bauthemen waren gefragt. 100.000 Reichsmark Preisgeld lockten!3

Sehr umfangreich und aufwendig wurde die Schau – auch in den anderen Besatzungszonen – plakatiert, im Kino, in der Presse, im Radio, als Film, als Briefmarke, in der Straßenbahn usw. über drei Werbemotive der Gestalter Peter Palitzsch, Wolfgang Wolgram und Horst Naumann beworben.

Li: Plakat zur Ausstellung mit den ursprünglich angedachten Ausstellungsdaten, Gestalter: Horst Naumann, 1946, Stadtmuseum, SMD/SP/1989/00499; Mi: Plakat von Peter Palitzsch (nur als SW-Foto bekannt), Stadtmuseum, SMD/Ph/1997/00078; Re: Plakat von Wolfgang Wolgram, 1946, Stadtmuseum, SMD /SP/1981/09370

Keine Kosten und Mühen wurden gescheut. Vor Ort drehte sogar die Löwin „Dresda“ aus dem Zoo als „Aufbaulöwe“ im Käfig ihre Runden.

Dresdner „Aufbau-Löwe“ vor dem Ausstellungshaus, Fotograf: Bernhard Braun, 1946, Stadtmuseum Dresden, SMD/Ph/2021/00109

Bis zum 10. März gingen etwa 1.000 Pläne, schriftliche Äußerungen und sogar Modelle von Profis und Amateuren ein, die von zehn Kommissionen beurteilt wurden.4  Bereits im selben Monat sollten diese Bürgerbeteiligungen mit weiterem Material von vielen Ämtern, Organisationen und Betrieben in der Ausstellung präsentiert werden.  

Aber das war – auch angesichts der generell sehr schwierigen Versorgungs- und Transportlage – nicht zu schaffen. Die Eröffnung wurde auf den 21. Juli verschoben und gegen alle Proteste des Ausstellungsleiters, dass auch dieser Termin nicht zu halten sei, daran festgehalten. Denn die Aktion stand unter starkem politischen Druck: An die Eröffnung war propagandistisch wirksam der Baubeginn an drei Stellen in der Stadt gekoppelt – an der Marienbrücke, am Käthe-Kollwitz-Ufer und von 132 Siedlungshäusern in Reick.

Plakat von Peter Palitzsch in der Dresdner Trümmerlandschaft, Fotograf: Ernst Schmidt, 1947, ©Deutsche Fotothek / Ernst Schmidt

Die Ausstellung „Das neue Dresden“

Als die Schau eröffnet wurde, war sie laut städtischer Eigenpublikation die „bisher größte Ausstellung in der russischen Zone“ seit Kriegsende.5 Bespielt wurde die beachtliche Fläche von 14.500 m² – zumindest zeitweise. Denn die Präsentation war zur Eröffnung nicht ganz fertig geworden und es musste daher in den folgenden Wochen, zum Missfallen der zahlreichen Ausstellungsbesucher, weiter fleißig gebohrt und gehämmert werden. Von Juli bis August wurden im Erdgeschoss die „Träger des Aufbaues“ (Blockparteien, FDGB, Volkssolidarität, Handwerkskammer, Arbeitsamt, Baufirmen etc.) präsentiert, im 1. Obergeschoss neben den städtischen Planungen auch der „Allgemeine Ideenwettbewerb“ und schließlich im 2. Obergeschoss vor allem die „Leistungen des großen Dresdner Aufbauplanes für das Jahr 1946“.6

Recht bald war aber schon wieder umzugestalten, vor allem zu schrumpfen, denn vom 25. August bis 31. Oktober 1946 wurde im 1. Obergeschoss parallel die Allgemeine Deutsche Kunstausstellung gezeigt. Durch die Verschiebung der Eröffnung war es zum Raumkonflikt gekommen, so dass der von den Besucherinnen und Besuchern als Hauptteil der Ausstellung wahrgenommene 1. Stock größtenteils beräumt werden musste.7

Entgegen der ursprünglichen Angabe wurden aus den Einsendungen zum Wettbewerb aufgrund der Masse zunächst nur die Bestqualifizierten gezeigt. Durch die spätere Flächenreduzierung ist zudem fraglich, ob am Ende tatsächlich alle Beiträge zu sehen gewesen sind. Und es gab noch eine weitere Einschränkung: „Phantastische Projekte wie übereinanderliegende Straßen, Wolkenkratzer-Wohnblöcke, Atomkraftwerke und Elbtalsperren usw.“ kamen für die Präsentation nicht in Frage, da sich Dresden nicht lächerlich machen wolle und auch keine 10-Millionen-Stadt sei, konnte der Presse (vermutlich nach Vorgaben der Stadt) entnommen werden.8

Die Vorstellungen der 129 Preisgewinnerinnen und -gewinner sowie der 92 Anerkennungen sind – angesichts des großen Propagandaaufwands zuvor und der Rede von der demokratischen Beteiligung – dann doch erstaunlich unbekannt geblieben. Sie sind zwar mit Namen veröffentlicht worden,9 aber  bis auf zwei Ausstellungsfotos, die vor allem die Raumpräsentation dokumentieren, bildlich nahezu unbekannt. Die Raumfotos finden sich in einem repräsentativen, leinengebundenen Fotoalbum, das Bürgermeister Walter Weidauer 1946 als Weihnachtsgeschenk vom Ausstellungsamt erhielt und heute im Stadtmuseum Dresden aufbewahrt wird. Die Fotos können in einer PDF-Datei auf der Online-Datenbank der Museen der Stadt Dresden abgerufen werden: www.dresden-collection-online.de.

Erkennbar ist auf den Fotos, dass die Pläne zusammengefasst wurden mit dem Ausstellungstext „810 Einsender zeugen für die aktive Mitarbeit der Bevölkerung am Wiederaufbau. Endgültige Lösungen werden die Aufgabe der Zukunft sein.“ Auf dem einen Foto sind an einer zentralen Wand mindestens 23 kleinere bis mittelformatige Zeichnungen sowie das große Versuchsmodell der Stadt für die Neuplanung erkennbar. Es handelt sich offensichtlich teilweise um zeichnerische Darstellungen zu Verkehrsflüssen im größeren Maßstab sowie Gestaltungsvorschläge für einzelne Plätze wie z. B. vermutlich den Postplatz und den Neustädter Markt, oder auch Gebäude bis auf Grundrissebene. Auf dem zweiten Foto sind in den vorgeschalteten Räumen noch weitere, teils großformatige Darstellungen auszumachen, die sich u.a. mit dem Schnellverkehrsnetz und der Schuttbeseitigung sowie dem Neumarkt mit wiederaufgebauter Frauenkirche befassen.

In der veröffentlichten Preisträgerliste tauchen zahlreiche in Dresden und teils darüber hinaus bekannte Architektennamen auf, wie z. B. Otto Schubert, Kurt Bärbig, Hermann Tausch, Wolfgang Rauda und Erhard Lucas, Otto Hempel, Martin Romberger, Friedrich Wagner-Poltrock, Paul Wolf, Schilling&Gräbner, Heinrich Rettig, Edmund Schuchardt sowie Hanns Hopp. Einige der auf den Fotos abgebildeten Pläne wird man ihnen vielleicht bei genauerer Analyse zuordnen können, zumal sich in einigen Architektennachlässen Material erhalten hat.10 Die teilnehmenden Laien lieferten wahrscheinlich schon aufgrund fehlender zeichnerischer Fertigkeiten eher schriftliche Erläuterungen mit kleineren bis mittelgroßen Skizzen ein. Ein Problem, das durchaus vorab erkannt worden war: Im Januar war angeregt worden, Laien zur Illustration professionelle Unterstützung zur Verfügung zu stellen.11 Eine Umsetzung dieses Vorschlags ist jedoch ebenso wenig dokumentiert wie ein Einfluss der eingereichten Laienentwürfe auf das weitere Geschehen, das sich zunehmend politisch auflud.

Und es stellte sich auch heraus, dass die 100.000 Mark „ebenso für die Ausstellung bestimmt [sind] wie für sämtliche Anregungen, die uns eingesandt werden.“12 Weniger als die Hälfte ging tatsächlich als Preisgelder an die (Laien-)Teilnehmer. Wo das eingereichte Material verblieben ist, ist weitgehend unklar. Wurde es zurückgegeben?13 Man hörte oder las jedenfalls nie wieder von den Laieneinreichungen, so dass der Eindruck entsteht, dass zwar die offiziell verkündeten 250.000 Besucherinnen und Besucher der Ausstellung die Pläne (mindestens zum Teil) sehen konnten,14 vom groß angekündigten Teilhabeprojekt aber vor allem die Stadtverwaltung durch positive PR, einige Architekten durch teils ansehnliche Preisgelder und sehr wenige Laien durch kleine Preisgelder profitierten. Partizipation light also.


Hinweis: Vom 16.12.2023 bis 25.02.2024 ist im Verkehrsmuseum Dresden die Wanderausstellung „Dresden – Brest Das Bild der Stadt und seine (Re-)Konstruktion“ zu sehen. Beide Städte wurden durch die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs zerstört und anschließend in ganz anderer Form wieder aufgebaut. Ergänzt wird die Ausstellung durch die Präsentation studentischer Arbeiten zu Geschichte und Wiederaufbau Wiederaufbau in Brest und Dresden im Zentrum für Baukultur (Kulturpalast). Die im Blogbeitrag dargestellte Ausstellung von 1946 ist dort ebenfalls präsent: res-urbanae.eu

  1. Die Ausstellung ist bereits mehrfach vorgestellt worden, siehe z. B.: Werner Durth, Jörn Düwel, Niels Gutschow: Architektur und Städtebau der DDR, Band 1: Ostkreuz, Frankfurt/New York 1998, S. 210 –215 sowie Städtebau- + Architekturwettbewerb „Das Neue Dresden“ 1946- zwischen Fortsetzung und Neubeginn (das-neue-dresden.de). Diese Darstellung versteht sich als Ergänzung mit besonderem Fokus. ↩︎
  2. Stadtarchiv Dresden (SA DD), 4.1.4, Nr. 983, Bl. 44, Nachrichtenamt, undatiert. Hervorhebung im Original. ↩︎
  3. Laut Bundesbank-Währungsrechner entspräche das heute etwa 380.000 EURO. ↩︎
  4. SA DD 4.1.9., Nr. 187, Bl 148ff, Niederschrift. ↩︎
  5. Teilnehmerheft für die zur Eröffnungsfeier geladenen Gäste, Dresden 1946, o. Pg. SMD/SD/1981/09407. ↩︎
  6. Das Stadtmuseum Dresden besitzt gut 100 Fotos von der Ausstellung, die teilweise bereits in der Online-Datenbank der Museen der Stadt Dresden abgerufen werden können: www.sammlungsdatenbank-museen-dresden.de. ↩︎
  7. SA DD 4.1.4, Nr. 531, Bericht der Neuaufbau GmbH an Walter Weidauer vom 18. September 1946. ↩︎
  8. Sächsische Volkszeitung vom 20. März 1946. ↩︎
  9. Veröffentlichung der Preisträger am 5. September 1946 in der Sächsischen Zeitung. ↩︎
  10. Siehe hierzu Durth, Düwel, Gutschow, S. 211 sowie Städtebau- + Architekturwettbewerb „Das Neue Dresden“ 1946- zwischen Fortsetzung und Neubeginn (das-neue-dresden.de). ↩︎
  11. SA DD, 4.1.4., Nr. 1067, Bl. 5 und 7, Diskussion zur Besprechung am 16.1.1946. ↩︎
  12. Sächsische Zeitung vom 1. März 1946. ↩︎
  13. Nur wenige, primär textbasierte Vorschläge finden sich in den Akten. Siehe z. B.: SA DD 4.1.9., Nr. 8 und Nr. 11. ↩︎
  14. Sa DD, 4.1.4./983, Bl. 155; SZ vom 2.11.1946. ↩︎