Gastbeitrag von Jens Klingner

Das Dresdner Stadtmuseum verfügt über einen außergewöhnlichen „Schatz“, der nicht nur die geistliche Frömmigkeit in einer spätmittelalterlichen Stadt dokumentiert, sondern in seiner Überlieferung für Sachsen und darüber hinaus einzigartig ist. Die Rede ist von den zwölf Perlmuttmedaillons sowie einer Reihe von Bergkristallstücken, verschiedenen Zylindern und Phiolen, die sich heute in der Dauerausstellung des Museums befinden.

Perlmuttmedaillons aus dem Reliquienschatz des Dresdner Franziskanerklosters; Stadtmuseum Dresden, Foto: © Museen der Stadt Dresden / Philipp WL Günther
Gefäße und Fragmente von Reliquiaren; Stadtmuseum Dresden,
Foto: © Museen der Stadt Dresden / Philipp WL Günther

Die ausgestellten Gegenstände wurden 1910 bei Bauarbeiten in den Grüften der Sophienkirche aufgefunden: Die Sophienkirche, wie sie nach ihrem Umbau 1602 hieß, war Teil des Franziskanerklosters, welches bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts bestand und zu den wichtigsten geistlichen Einrichtungen in Dresden gehörte. Das einzige Kloster auf der südlichen Elbseite befand sich im Westen des spätmittelalterlichen Stadtgebietes. Es lag in unmittelbarer Nähe der Stadtmauer und des Residenzschlosses. Heute verweist noch der Straßenname „Kleine Brüdergasse“ gegenüber dem Zwinger auf die Lage des Klosters.

Einen Eindruck vom Aussehen des Klosters gewinnt man dank einer großformatigen Federzeichnung.

Federzeichnung vom Grundstück des Dresdner Franziskanerklosters, um 1555, Sächsisches Staatsarchiv, 10036 Finanzarchiv, Loc. 37281, Rep. 22, Dresden, Nr. 0004, Foto: © Jens Klingner

Diese zeigt in allen Details das Franziskanerkloster. Sie datiert in die Phase unmittelbar nach der Reformation, als die Klostergebäude zunächst an die Stadt übergeben, wenig später von Kurfürst Moritz von Sachsen (1521–1553) zurückgenommen und zur Lagerung von militärischem Gerät genutzt wurden. Die Skizze zeigt das Areal rund ums Kloster, dessen Gebäude noch alle intakt sind. Oben links sind die Kirche sowie das Kloster zu erkennen. Rechts findet sich die Badestube in der Kleinen Brüdergasse und im Vordergrund das Haus des bedeutenden kurfürstlichen Rates Anthonius von Schönberg (1528–1591). Die Zeichnung vermittelt einen Eindruck vom zeitgenössischen baulichen Zustand, bevor die Gebäude ab 1563 eine neue Bestimmung erhielten. Bis zum 18. Jahrhundert erfolgte sukzessive der vollständige Abbruch dieser Häuser, zuletzt zugunsten der Errichtung des Taschenbergpalais. Heute zeugen vom Kloster die Nachbildung des Grundrisses der Sophienkirche in rotem Meißner Granit auf den Freiflächen um das Haus am Zwinger und der Gedenkraum Sophienkirche mit der Busmannkapelle.

Die Franziskaner, benannt nach ihrem Gründer, dem Heiligen Franziskus von Assisi, waren ein in Europa weit verbreiteter mittelalterlicher Bettelorden. Man nannte sie auch Barfüßer, in Anspielung auf das auffällige äußere Merkmal der persönlichen Armut, auf die sich die Ordensmitglieder verpflichtet hatten. Der Bettelorden verfolgte das Armutsideal, verzichtete somit auf Besitzungen, deren Erwerb eine Urkundenproduktion nach sich gezogen hätte. Somit ist die schriftliche Überlieferung zu den immerhin 300 Jahre in Dresden ansässigen Mönchen – mit einer einzigen Ausnahme – überschaubar.

In erster Linie liefern archäologische Grabungen wichtige Anhaltspunkte für die Frühgeschichte der Dresdner Niederlassung. Diese datieren die Ansiedlung der Franziskaner in die Mitte des 13. Jahrhunderts. In dieser Phase trat vor allem Markgraf Heinrich (der Erlauchte) von Meißen (um 1215–1288) als Förderer der Mönche hervor. Gleichzeitig profitierte das Kloster von der wachsenden Anziehungskraft der Residenzstadt für Adlige, Handwerker und Händler. Die wenigen erhaltenen Urkunden zeigen Stiftungen zugunsten des Bettelordens. Die strenge und disziplinierte Frömmigkeit der Franziskanermönche traf insbesondere in den boomenden Städten des Mittelalters auf großen Widerhall unter der Bevölkerung. Diese bedachte die Niederlassungen in ihren Testamenten reichlich, um sich bereits zu Lebzeiten mit Blick auf das eigene Seelenheil einen Platz auf dem Klosterfriedhof bzw. in der Klosterkirche zu sichern.

Zu den Stiftungen gehören vermutlich auch die zwölf geschnitzten Perlmuttscheiben. Perlmutt ist die ursprüngliche Bezeichnung für die glänzende, innere Schicht der Schalenweichtiere. Sie stammt aus dem Lateinischen von „mater perlarum“ und bedeutet „Mutter der Perle“. Perlmutt wurde im Mittelalter eine besondere Wirksamkeit zugesprochen. Darüber hinaus wurde seine schimmernde weiße Farbigkeit als Zeichen für Reinheit und Keuschheit gedeutet. Perlmuttrundbilder dienten den Trägerinnen und Trägern als Schutz vor Unheil.

Auf den vorliegenden Medaillons sind die in dieser Zeit üblichen christlichen Motive abgebildet. Dazu zählen unter anderem Christi Geburt, das Letztes Abendmahl, die Geißelung Christi, die Krönung Marias, der Heilige Sebastian und der Heilige Georg.

Fragmente des Perlmuttmedaillons „Heiliger Georg“; Stadtmuseum Dresden,
Foto: © Museen der Stadt Dresden / Philipp WL Günther

Schaut man sich den Heiligen Georg etwas genauer an, so ist zu sehen, dass er zu Pferde sitzt und gegen den unter den Hufen des Tieres liegenden Drachen kämpft. Georg gehört zu den vierzehn Nothelfern und ist unter anderem Schutzpatron der Krieger, der Spitäler und der Reisenden. Für Dresden ist dieser Name auch mit Herzog Georg (dem Bärtigen) von Sachsen (1471–1539) verbunden, der Zeit seines Lebens in Dresden lebte und das Bild der Stadt als regierender Landesfürst am Anfang des 16. Jahrhunderts wesentlich geprägt hat. Die Entstehung der Perlmuttstücke wird in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert, also in den Beginn der Zeit, als Dresden zu einer bedeutenden Residenzstadt aufstieg. Ob es sich um eine Schenkung des Herzogs handelt, muss offenbleiben.

Herzog Georg (1471–1539), um 1520, Lithografie von August Pretzsch, Städtische Galerie Dresden – Kunstsammlung Museen der Stadt Dresden

Die Stücke waren Teil einer schwarzen Kiste, die wie bereits erwähnt erst 1910 wieder aufgefunden wurde. Diese Kiste enthielt neben den Medaillons eine in Gold gefasste Zahnreliquie und eine silberne Kreuzreliquie mit einem Holzspan vom Kreuz Christi sowie Reliquiare zur Aufbewahrung dieser Reliquien und weitere Behälter. Mit der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen 1539 mussten die Mönche das Kloster verlassen. Bevor sie das taten, übergaben sie etliche Stücke wie Monstranzen, Kelche, Kleinodien und Ornate an den Dresdner Rat. Dieser inventarisierte die Stücke und verwahrte sie. In den Bettelordensklöstern anderer Städte ging dieser Vorgang ähnlich vonstatten. In Görlitz und Bautzen beispielsweise sind der Umfang der Schatzbestände der Klöster und Kirchen dank Inventare bekannt. Erhalten sind die Bestände aber nicht, da sie unmittelbar nach der Aufnahme durch den Rat in der Regel eingeschmolzen worden sind – so auch in Dresden. Im Dresdner Kloster entnahmen die letzten Mönche die heiligsten Stücke vorher und vergruben diese in der erwähnten Kiste. So haben sich die Reliquien wie der Zahn und ein Stück des Kreuzes erhalten. Die überlieferten Perlmuttmedaillons dienten vermutlich als Schmuck von Reliquienmonstranzen oder Monilen – Monilen sind lange Halsketten mit einem Kästchen, die auch mit Perlmuttmedaillons verziert waren.

Monile mit Perlmuttrelief mit der Darstellung Christi am Ölberg, Böhmen um 1465, Prag, Metropolitni kapitula u svatého Víta v Praze, K 062, Foto: © Christian Schuffels

Die im Stadtmuseum ausgestellten Stücke zeugen von der alltäglichen Frömmigkeit in der sächsischen Niederlassung der Franziskaner. Sie waren Teil von liturgischen Handlungen und wurden beispielsweise bei den Prozessionen, an denen die Franziskaner teilnahmen, öffentlich gezeigt. Ihre Einkünfte erzielten die Franziskaner durch die Begräbnisse und die Seelsorge mit Beichte und Predigt. Ein im Stadtarchiv verwahrter, einzigartiger Rechnungsbestand des Klosters gibt einen Einblick in die Einnahmen der Franziskaner.

Rechnungsbuch der Franziskaner, Stadtarchiv Dresden, 2.1.1 Ratsarchiv, A.XV.b.35: Franziskanerklosterrechnungen 1421–1489, fol. 41v-42r, Foto: © Kerstin Guckeland

Seelsorge betrieben die Mönche über den städtischen Raum hinaus auch im Dresdner Umland. Dafür nutzten sie sogenannte Termineien, also Häuser oder Wohnungen, um in kleineren Städten zu übernachten und dann die umliegenden Dörfer zu bereisen und geistlich zu versorgen. Durch die Seelsorge in den Städten und auf dem Land nahmen die Franziskaner Geld ein oder bekamen Lebensmittel und Naturalien zur Eigenversorgung, die dann mit Gespannen ins Dresdner Mutterhaus befördert wurden. Greifbar sind solche Termineien für das Dresdner Kloster in Bischofswerda, Gottleuba, Neustadt, Pirna oder – wie auf dem Foto – im circa 20 Kilometer entfernten Dippoldiswalde.

Ehemaliges Terminierhaus der Dresdner Franziskaner in Dippoldiswalde, heute in der Rosengasse auf der Rückseite des Marktes, Foto: © Jens Klingner

Die Reliquien sorgten nicht zuletzt wegen ihrer Bedeutung bei der Heiligenverehrung für eine große Strahlkraft des Klosters in den ländlichen Raum hinein.

Um den Stellenwert der im Stadtmuseum ausgestellten Stücke noch einmal zu unterstreichen: In der gesamten Franziskanerprovinz Saxoniae, die immerhin vom Rhein bis nach Polen und Estland reichte, sind solche Reliquienschätze völlig unbekannt. Nur in Dresden haben sich solche Stücke für einen Bettelorden erhalten. Gemeinsam mit der Federzeichnung – vergleichbares ist für den sächsischen Raum bisher nicht bekannt – und den Franziskanerklosterrechnungen verfügt Dresden über eine bedeutende Überlieferung zu den Franziskanern. Wer sich über das Dresdner Franziskanerkloster und andere sächsische Niederlassungen informieren will, dem sei zukünftig das Sächsische Klosterbuch ans Herz gelegt, welches im kommenden Jahr erscheinen wird. Das dreibändige Werk bietet nicht nur umfassende Informationen zu den 80 Klöstern, die auf dem Gebiet des heutigen Freistaates existierten, sondern es finden sich weitere, wertvolle und bislang verborgene Schätze in den zahlreichen Abbildungen, die darauf warten, von den Leserinnen und Lesern entdeckt zu werden.

Zum Autor

Jens Klingner ist Historiker und am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden tätig. Er arbeitet unter anderem an der Edition der Briefe Herzogin Elisabeths von Sachsen, dem Historischen Ortsverzeichnis von Sachsen sowie zu den sächsischen Stadtschreibern des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Der Beitrag entstand im Rahmen der Reihe „Objekt im Fokus“.

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