Gastbeitrag von Volker Strähle

Wie kann es sein, dass noch in der DDR Schwarze Menschen im Dresdner Zoo vorgeführt wurden? Die Recherche führt uns zur Geschichte des Schwarzen Dresdners Thomas Todtmann. Wer hat ihn noch gekannt? Und wer kann uns noch mehr über Aufführungen im Dresdner Zoo nach 1945 mitteilen?

Die Erinnerungen von Gudrun Zwanzig

Als die heute 77-jährige Gudrun Zwanzig in der Leipziger Volkszeitung von der Ausstellung im Dresdner Stadtmuseum zu „Menschenschauen“ las, kamen Kindheitserinnerungen in ihr hoch: Als Vierjährige hatte sie 1951 erlebt, wie im Dresdner Zoo Schwarze Menschen1 ausgestellt wurden. „Das ist eine meiner frühesten Erinnerungen“, sagt sie. „Die Leute waren wie die Tiere in einem Gehege“, erzählt sie. In ihrem Kinderalbum gibt es eine ganze Seite mit Fotografien eines Sonntagsausflugs im Sommer 1951 – überschrieben mit den Worten: „Mit der Pioniereisenbahn nach dem Zoo“. Die Kinder – neben Gudrun und ihrem Bruder Dietmar war noch ein Nachbarsjunge dabei – posieren für die Kamera, stehen vor einem Gehege mit Schafen. Ein Bild fällt besonders ins Auge: Rechts lehnt Gudrun an einer Umzäunung, links neben ihr – aber hinter dem Zaun – steht ein etwas jüngeres Kind. Es hat dunklere Gesichtszüge als Gudrun. „Schwarz und weiß“, ist neben der Fotografie notiert.

Die Zeit der kolonialen „Völkerschauen“ war in den 1950er-Jahren eigentlich längst vorbei. Zwischen 1878 und 1934 waren mindestens 65 „Völkerschauen“ im Dresdner Zoo gezeigt worden, so viele wie in keinem anderen Zoo Deutschlands.2 Das Publikum kam zu Tausenden, um Menschen aus aller Welt anzuschauen – getrennt von ihnen durch einen Zaun. Rund die Hälfte der „Völkerschauen“ im Dresdner Zoo waren „afrikanische“ Gruppen. Die „Völkerschauen“ spiegelten die koloniale Weltordnung: Sie sollten die vermeintliche Überlegenheit der Weißen vorführen und deren Beherrschung der außereuropäischen Welt rechtfertigen. Im Ersten Weltkrieg ausgesetzt, kamen die „Völkerschauen“ in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren zu einem Ende.

Dresdner Zoo-Publikum und Teilnehmende eines „afrikanischen Dorfes“, 1906, Zoo-Archiv Dresden

Wie war es also möglich, dass noch 1951 Schwarze Menschen im Dresdner Zoo zur Schau gestellt wurden? Kann es sein, dass es noch zu DDR-Zeiten „Völkerschauen“ im Dresdner Zoo gab?

„In späteren Jahren hat mir das keiner geglaubt“, sagt Gudrun Zwanzig. „Mit der Fotografie in meinem Album konnte ich es aber beweisen.“ Gudrun Zwanzig, damals Gudrun Müller, lebte Anfang der 1950er-Jahre mit ihrer Familie in der Hechtstraße in der Dresdner Neustadt. Die Ausflüge in den Dresdner Zoo waren für sie stets etwas Besonderes. An die Begegnung mit den Schwarzen Menschen erinnert sie sich bis heute. „Da war ein Mann etwas weiter hinten im Gehege“, erzählt sie. Dort befand sich eine runde afrikanische Hütte. Und dann kam das Kind zu uns nach vorne an den Zaun.“ Gudrun Zwanzig hat das Stadtmuseum Dresden angeschrieben. Sie wollte mehr darüber erfahren, was es mit der Menschenschau von 1951 auf sich hatte. „Diese Sache müsste doch im Archiv des Zoos zu finden sein“, sagt sie. Damit beginnen unsere Recherchen.

Der Fotofund im Zoo-Archiv

Das Archiv des Dresdner Zoos hat über Jahrzehnte Winfried Gensch (1938–2021) aufgebaut. Gensch kam über ein Praktikum 1956 in den Dresdner Zoo und war dort vier Jahrzehnte lang beschäftigt – zuletzt als Oberassistent. Das Archiv pflegte er ehrenamtlich bis zu seinem Tod. Mittlerweile wird es von Ralf Leidel von den „Zoo-Freunden“ betreut. In einem Schrank des Zoo-Archivs holt Leidel zwei Leitz-Ordner mit dem Titel „Völkerschau“ hervor. Zu finden sind darin, hinter Klarsichthüllen, unzählige historische Ansichtskarten und Fotografien von „Völkerschauen“ – penibel beschriftet. „Malabaren 1900“ ist zu lesen, „Sudanesendorf 1910“ oder „wahrscheinlich Völkerschau ,Galla‘ 1908“. Und tatsächlich: Am Ende des zweiten Ordners sind elf Aufnahmen einsortiert, die mit „Expeditionsschau 1951“ beschriftet sind.

Es handelt sich um Aufnahmen von zwei Schwarzen Männern und einem Kind, einzeln und in der Gruppe fotografiert. Die Fotos sind sorgsam inszeniert: Auf einem Bild sitzt ein Mann mit dem Kind auf dem Schoß vor dem Eingang einer runden Strohhütte. Rechts neben ihm sitzt der andere Mann auf einem prächtig geschnitzten Hocker – unterm Arm trägt er eine Trommel. Links neben dem Eingang lehnt eine an einem Stab befestigte Maske an der Hütte. Im Hintergrund ragt eine Palme auf. Ein Phantasiebild einer „afrikanischen Szene“ – inszeniert im Dresdner Zoo. Anders als auf früher entstandenen Fotografien von „Völkerschau“-Darsteller:innen tragen die Menschen einfache europäische Kleidung. Eines scheint jedenfalls ziemlich sicher: Das hier abgebildete Kind, wahrscheinlich ein Junge, ist das selbe wie jenes aus dem Fotoalbum von Gudrun Zwanzig. Auch die von ihr erwähnte „runde afrikanische Hütte“ war tatsächlich 1951 im Dresdner Zoo aufgebaut worden. Doch was hatte es mit dieser „Expeditionsschau“ auf sich?

Das Zoo-Jubiläum 1951 und die „Expeditionsschau“

„Tierfang in Afrika“. Anzeige aus dem Sächsischen Tageblatt (Dresden), 19. Mai 1951

Im Frühjahr 1951 feierte der Dresdner Zoo sein 90-jähriges Bestehen. Es waren schwierige Zeiten für die Institution: Fünf Jahre nach seiner fast kompletten Zerstörung war der Dresdner Zoo ein Provisorium auf Trümmern, der Mangel allgegenwärtig. Neben einigen wenigen exotisch anmutenden Tieren wurden in den Gehegen einheimische Schafe, Ziegen, Kleinpferde und Wildschweine präsentiert. Einige Monate zuvor hatte der neue Zoo-Direktor Wolfgang Ullrich (1923-1973) sein Amt übernommen. Ullrich war CDU-Mitglied und zu dem Zeitpunkt jüngster Abgeordneter des sächsischen Landtages. Der 27-jährige Biologe hatte sich eigentlich als Assistent beworben, doch nun sollte er den Zoo in die Zukunft führen – und erstmal die Jubiläumsfeier ausrichten.

In der Staats- und Universitätsbibliothek findet sich auf Mikrofilm auch die CDU-Zeitung „Die Union“. An Pfingsten 1951 gab Zoodirektor Ullrich dort unter der Überschrift „90 Jahre Zoologischer Garten in Dresden“ einen Einblick in das Jubiläumsprogramm. „Was bietet nun der Dresdner Zoo seinen Geburtstagsgästen?“, fragte er die Leser:innenschaft. Und tatsächlich: Neben „populärwissenschaftlichen Vorträgen“ pries er die „Expeditionsschau“ an:

Offenbar wurde dem Zoo-Publikum demonstriert, wie eine „Tierfangexpedition“ in „Afrika“ wilde Tiere einfängt, so dass sie später in europäischen Zoos gezeigt werden konnten. Vermutlich wurden Geräte vorgeführt und Tiere in einem Gehege („Tierfangkral“) präsentiert. Das im Dresdner Zoo nachgebaute „Steppenlager“ enthielt offenbar einen Bereich mit „Tropenzelten“ für die europäischen Tierfänger und einen mit „Eingeborenenhütten“ für die „afrikanischen“ Hilfskräfte. Diese „Eingeborenenhütten“, die von Schwarzen Menschen „bewohnt“ wurden, erinnerten an die „afrikanischen Dörfer“ der früheren „Völkerschauen“.

Nach eigener Aussage wollte der Zoodirektor dem Publikum dabei allerdings eine fortschrittliche Botschaft vermitteln: Die „Expedition“ sollte ein Beispiel der Zusammenarbeit zwischen Weißen und Schwarzen Menschen im Dienst einer höheren Sache darstellen. Ullrich schrieb:

Damit wird, abgehend von der nazistischen Kolonialschau, die Rassenunterschiede hervorhob, bewiesen werden, daß nur die gute Zusammenarbeit zwischen Eingeborenen und Forschern der Wissenschaft zum Erfolg verhilft und daß so alle Menschen jeder Hautfarbe dazu beitragen, das große Friedenswerk zu vollenden.“

Die Union. Ausgabe Dresden, Pfingsten 1951, S. 6.

Ullrich kritisierte den Kolonialrassismus der „Völkerschauen“, die er im Jargon der frühen DDR als „nazistisch“ bezeichnete, gleichzeitig griff er auf Inszenierungspraktiken eben jener kolonialen „Völkerschauen“ zurück. Dies ist ein eindrückliches Beispiel für den widersprüchlichen Rassediskurs in der DDR: Das Rassedenken wurde einerseits angeprangert, andererseits wurden rassistische Stereotype aus dem 19. Jahrhundert in der Darstellung des Anderen genutzt, um internationale Solidarität zu illustrieren.4

Ein neues Denken kündigte sich an, alte Stereotype lebten fort – wie immer in Phasen des Umbruchs. Als Ullrich im Dresdner Zoo die „Expeditionsschau“ präsentierte, liefen gerade die Vorbereitungen für die „Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ in Ostberlin. Das omnipräsente Logo der Festspiele zeigte drei junge Menschen unterschiedlicher Hautfarben, die sich an den Händen halten – wobei der weiße Mann im Vordergrund steht. Darüber schwebte die Taube als Symbol des Friedens. Das „große Friedenswerk“, das Ullrich in dem Zeitungsartikel beschwor, sollte von allen Völkern der Welt gemeinsam vollendet werden, wobei die Weißen Menschen das Ziel vorgaben. So scheint es auch in der inszenierten „Tierfangexpedition“ gewesen zu sein: Die europäischen Forscher und Tierfänger verkörperten die Wissenschaft, den einheimischen „afrikanischen“ Menschen blieb die Zuarbeit für das angebliche „Friedenswerk“.

Im Zoo-Archiv sind keine Unterlagen zu der „Expeditionsschau“ von 1951 aufzufinden, so dass vieles unklar bleibt: Wie sah die Inszenierung genau aus? Welche Rolle spielten dabei die „afrikanischen“ Darsteller:innen? Auch wie lange die „Expeditionsschau“ überhaupt im Zoo gezeigt wurde, ließ sich nicht klären. Wie aus einer Anzeige hervorgeht, war sie über einen längeren Zeitraum „jeden Sonntag ab 13 Uhr“ zu besichtigen. Der Besuch von Gudrun Zwanzig und ihrer Familie kann nicht vor Juli 1951 stattgefunden haben, da bereits die Elefantenkuh „Carla“ auf den Fotos zu sehen ist.5

Objekte aus dem Völkerkundemuseum

Auf den Fotografien aus dem Zoo-Archiv fallen insgesamt vier ethnographische Objekte ins Auge – die Maske, die Trommel, der Hocker sowie eine Figur. Während die an einem Stab befestigte Maske scheinbar zufällig an der Strohhütte lehnt, sitzt einer der Männer auf dem Hocker und hält eine Trommel in der Hand. Neben den ausgestellten Menschen sollten die Kunstwerke offenbar „Afrika“ repräsentieren. Doch woher kamen die Objekte? Auf der Trommel ist ein weißer Aufkleber zu erkennen. Handelte es dabei um ein Inventarschild einer ethnologischen Sammlung? Kann es sein, dass das Dresdner Völkerkundemuseum die Objekte 1951 dem Zoo ausgeliehen hat? Silvia Dolz, Kustodin der Afrika-Sammlung bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, ist sich nach einer ersten Recherche ziemlich sicher: „Es sieht ganz so aus, als stammten alle Objekte aus unserem Haus.“

Wie sich zeigt, handelte es sich bei den vorgeführten Objekten ausschließlich um Werke aus Kamerun. Der Hocker aus der Sammlung von Curt Zimmermann war erst 1950 ans Dresdner Völkerkunde-Museum gelangt. „Die figürlichen Hocker aus dem Grasland von Kamerun haben vor allem symbolische Bedeutung“, erzählt Silvia Dolz. „Sie dienten als Sitze für hochgestellte Persönlichkeiten, wie Oberhäupter und Würdenträger einer Gemeinschaft.“ Insofern erscheint die Verwendung des Hockers und der anderen gesellschaftlich genau definierten Gegenstände im sogenannten „Steppenlager“ der inszenierten „Tierfangexpedition“ als völlig unangebracht.

Die „Gedenkfigur eines Würdenträgers“ – sie ist auf einem der Fotos zusammen mit dem Kind zu sehen – stammt ebenfalls aus dem südlichen Kameruner Grasland. „Diese Skulpturen werden zu Zeremonien zum Gedenken an die Vorfahren und zum Wohlergehen der Gemeinschaft präsentiert“, sagt Silvia Dolz. Die Figur wurde vor 1917 hergestellt und gelangte über die Sammlung von William Seifert ans Dresdner Museum. „Die Skulptur sieht neu und ungebraucht aus“, meint Silvia Dolz: „Ihre Fußspitzen sind abgebrochen. Vielleicht wurde sie deshalb veräußert.“ Anfang des 20. Jahrhunderts war in Kamerun ein großer Markt für lokal produziertes Kunsthandwerk entstanden, ein großer Teil der Waren ging nach Europa.

Die Kamerun-Sammlung bildete die größte Afrika-Sammlung im Museum. Dass der Zoo ausgerechnet diese Objekte bekam, könnte reiner Zufall gewesen sein. Im Zweiten Weltkrieg war die Dresdner Völkerkundesammlung in Kisten verpackt und ausgelagert worden. Anfang der 1950er-Jahre hatten die Mitarbeiter:innen erst einen kleinen Teil der Objekte wieder ausgepackt, nur diese standen also überhaupt zur Verfügung. Ob die Objekte 1951 in einer kleinen ethnologischen Begleitausstellung im Zoo gezeigt wurden, wie es bei „Völkerschauen“ üblich gewesen war, oder nur für die Inszenierung der Fotografien genutzt wurden, lässt sich nicht feststellen. Unwahrscheinlich ist jedoch, dass die Kameruner Objekte über einen längeren Zeitraum im Außengelände des Zoos zu sehen waren. Dies hätte das Völkerkundemuseum kaum zugelassen – auch der gute Erhaltungszustand der Objekte spricht dagegen. Allerdings erscheint es tatsächlich möglich, dass die auf den Fotos abgebildete Trommel damals beschädigt wurde oder verloren ging. Denn diese ist in der Sammlung des Völkerkundemuseums nicht mehr zu finden.

Es war äußerst unüblich, dass überhaupt Objekte für derartige Darbietungen entliehen wurden. Zum Zeitpunkt der Schau stand das Völkerkundemuseum ohne Leitung da, die Bibliothekarin und Sekretärin Susanne Dämmrich führte es bis 1953 kommissarisch. „Die fehlende wissenschaftliche Betreuung in jener Zeit war vermutlich der Grund, dass man Objekte zu solchen Showzwecken auslieh“, vermutet die Afrika-Kustodin Silvia Dolz.

Die zur Schau gestellten Menschen

Eine Frage drängt sich jedoch vor allen anderen auf: Wer waren die drei Menschen, die 1951 im Zoo präsentiert wurden? Nichts weist darauf hin, wer das vielleicht drei- oder vierjährige Kind – vermutlich ein Junge – gewesen sein konnte. Von ihm ist kein Name überliefert. Auffällig ist das Gewand – eine türkische Tracht, die keinen Bezug zu „Afrika“ erkennen lässt. Ob das Kind mit einem der beiden erwachsenen Männer verwandt war, ist ebenfalls unklar.

In dem Ordner mit den Fotografien werden jedoch Namen der beiden abgebildeten Männer aufgeführt: „Todtmann“ und „Ikala“ ist handschriftlich vermerkt. Recherchen im Archiv der Hochschule für Bildende Künste Dresden ergeben, dass es sich um Männer handelte, die Modell saßen für Maler. So existiert ein Ölgemälde des Dresdner Malers Wilhelm Rudolph (1889–1982), der von 1946 bis 1949 eine Professur für Malerei und Graphik an der Akademie der Bildenden Künste Dresden innehatte. Es zeigt in der Seitenansicht einen Mann namens „Ikala“. Die Gesichtszüge und die Frisur ähneln sehr der Person, die auf Fotografien der „Expeditionsschau“ von 1951 abgebildet ist.6 Mehr ließ sich bislang nicht in Erfahrung bringen. Wer war „Ikala“? Wie lautete sein offizieller oder selbstgewählter Name? Wie kam er nach Dresden? Wo lebte er?

Anders als „Ikala“ bleibt „Todtmann“ kein Unbekannter. Es handelte sich um Thomas Todmann (1877–1954). Dieser gehörte zu den wenigen Schwarzen Menschen, die während der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der frühen DDR in Dresden lebten. Todmann ist dadurch bekannt geworden, dass er auf zahlreichen Kunstwerken verewigt wurde. Wahrscheinlich lebten auch die anderen beiden zur Schau gestellten Menschen in der DDR – womöglich in Dresden. Anders als bei den „Völkerschauen“ früherer Jahrzehnte, waren die Teilnehmenden der „Expeditionsschau“ offenbar nicht in fernen Ländern rekrutiert worden. Bei Thomas Todmann lassen sich zumindest die großen Linien seines Lebens erzählen.

Thomas Todmann (18771954)

Thomas Todmann wurde am 8. April 1877 auf St. Thomas (Kleine Antillen) geboren. Die Karibikinsel war damals eine dänische Kolonie, zwischen 1666 bis 1721 bildete ein Teil der Insel einen Stützpunkt des brandenburgisch-preußischen Sklavenhandels. Heute sind die Kleinen Antillen ein nicht inkorporiertes Außengebiet der USA. Zu den Vorfahren von Todmann gehörten sowohl versklavte Schwarze Menschen als auch Weiße Menschen.

Nach eigenen Angaben trat Thomas Todmann 1902 als 25-Jähriger in den Dienst der Hamburg-Amerika-Linien, wo er vom Schiffsjungen zum Obermatrosen aufstieg.7 Nachdem er 1915 entlassen wurde, ließ er sich in Hamburg nieder. Dort arbeitete er in einer Hamburger Munitionsfabrik, anschließend für fünf Jahre im Transportgewerbe. Aufgrund der Wirtschaftslage arbeitslos geworden, schlug er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, unter anderem im Kohlenhandel.

Nicht rekonstruieren lässt sich, warum Todmann 1921 nach Dresden zog. Seit 1926 arbeitete er als Modell an der Dresdner Kunstakademie, was zeitweise sein einziger Broterwerb war. Der Kunststudent Miron Sima (1902–1999) hielt ihn 1926 auf dem Ölgemälde „Thomas Todmann und Gustl“ fest.8 Zwischen 1929 und 1931 war Todmann in der Schokoladenfabrik Wilhelm Jentzsch in der Großenhainer Straße beschäftigt. Der Staatenlose verfügte über einen Aufenthaltsstatus, auch bezog er zeitweise Arbeitslosenunterstützung. In dieser Zeit wurde er wieder vermehrt von der Kunstakademie als Schwarzes Modell herangezogen. Überliefert ist unter anderem ein Ölgemälde von Karl Timmler (1906–1996) aus dem Jahr 1932, das Todmann in der Uniform eines sächsischen Postillons zeigt und eine Zeichnung von Gerhard Keil (1912–1992) aus dem Jahr 1933, das ihn im Anzug mit Krawatte abbildet. Zu diesem Zeitpunkt lebte Todmann in der Johannstraße 11 (heute Wilsdruffer Straße) in Dresden.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde der Dresdner Kunstakademie die Anstellung Schwarzer Modelle als „Schande“ vorgehalten. Todmann bat gegenüber den NS-Behörden erfolgreich darum, seine Tätigkeit fortsetzen zu können und wurde dabei von Rektor Richard Müller (1854-1954) unterstützt. Noch 1936 zeichnete der Dresdner Kunststudent Gerhardt Müller (1913 –1943) ein Schwarzes Modell – höchstwahrscheinlich handelte es sich um Todmann.9

Über Todmanns weiteren Lebensweg liegen bislang nur wenige Informationen vor. Er überlebte den Zweiten Weltkrieg als Staatenloser in Dresden, zeitweise war er in der Klingestraße 18 in Löbtau gemeldet. In der frühen DDR war er wieder in Dresden als Modell an der Kunstakademie beschäftigt. So fertigte Jürgen Böttcher (*1931) als Kunststudent 1950 eine Bleistiftzeichnung von Todmann an. Dieser nahm weiterhin Nebentätigkeiten an, als solche muss auch sein Auftritt in der „Expeditionsschau“ im Dresdner Zoo 1951 gewertet werden. Zuletzt lebte er in der Behringstraße 40 und war als Kontrolleur tätig. Er blieb Zeit seines Lebens unverheiratet. Thomas Todmann starb am 20. November 1954 in Dresden.

Wer kann etwas zu Aufführungen im Dresdner Zoo nach 1945 beitragen?

Die „Expeditionsschau“ von 1951 im Dresdner Zoo ist ein Beispiel dafür, dass die im 19. Jahrhundert geprägten Inszenierungspraktiken der „Völkerschauen“ auch in der Nachkriegszeit fortwirkten. Bislang ist kaum etwas darüber bekannt, inwiefern es später Vorführungen gab, in denen Menschen als Vertreter:innen „exotischer“ Kulturen im Dresdner Zoo präsentiert wurden – oder sich selbst präsentierten. Noch in den 2000er- und 2010er-Jahren trat etwa mehrmals die Musik- und Tanzgruppe „Tussangana“ in traditionellen angolanischen Kostümen und mit Trommeln auf dem Zoogelände in Dresden auf.

Wer kann von solchen Aufführungen im Dresdner Zoo berichten oder ist im Besitz von Fotografien oder Videos, die solche Begegnungen im Zoo festhalten? Das Stadtmuseum freut sich über Rückmeldungen und weitere Hinweise. Auch weitere Informationen zu der „Expeditionsschau“ von 1951 sind willkommen. Wer hat Thomas Todmann oder „Ikala“ noch gekannt oder weiß mehr über die beiden? Wer kann etwas über das damals zur Schau gestellte Kind sagen?

Rückmeldungen nimmt das Team des Stadtmuseums gerne unter folgender Emailadresse entgegen: menschenschau@projekte-museen-dresden.de


Volker Strähle war von November 2021 bis März 2023 im Auftrag des Stadtmuseums Dresden verantwortlich für das Projekt „Menschenschauen in Dresden“. Er ist Mitherausgeber des Sammelbands „MENSCHENanSCHAUEN. Selbst- und Fremdinszenierungen in Dresdner Menschenausstellungen“, Sandstein-Verlag, Dresden 2023.


  1. „Weißsein“ und „Schwarzsein“ bezeichnen keine biologische Eigenschaft oder reelle Hautfarbe, sie sind politische (Selbst-)Zuschreibungen, die auf kolonialrassistische Vorstellungen von Ungleichheit und auf politische Kämpfe verweisen. Um dies zu kennzeichnen, werden in diesem Beitrag die darauf bezogenen Adjektive „weiß“ und „schwarz“ in Großschreibung wiedergegeben. ↩︎
  2. Strähle, Volker: Eine „Völkerwiese“ am Großen Garten. Der Dresdner Zoo als Ort kommerzieller Menschenschauen, in: Ludwig, Christina/Rudolph, Andrea/Steller, Thomas/Strähle, Volker (Hrsg.): MENSCHEN anSCHAUEN. Selbst- und Fremdinszenierungen in Dresdner Menschenausstellungen, Dresden 2023, S. 74-81, hier S. 75. ↩︎
  3. Das N-Wort wird als Quellenbegriff durchgestrichen, um es als eindeutig rassistisch zu kennzeichnen. Damit bleibt es jedoch lesbar. ↩︎
  4. Slobodian, Quinn: Socialist Chromatism. Race, Racism, and the Racial Rainbow in East Germany, S. 23-39, hier S. 25f., in: Slobodian, Quinn (Hrsg.): Comrades of Color. East Germany in the Cold War World, New York 2017. ↩︎
  5. Die Elefantenkuh „Carla“ traf am 2. Juli 1951 im Dresdner Zoo ein, damit verfügte der Zoo erstmals seit 1945 wieder über einen Dickhäuter. Vgl. Gensch, Winfried/Haikal, Mustafa: Der Gesang des Orang-Utans. Die Geschichte des Dresdner Zoos, Dresden 2009, S. 99f. ↩︎
  6. Langer, Alfred (Hrsg.): Bildende Kunst der Arbeiterfestspiele, Leipzig 1960, S. 30. ↩︎
  7. Die Angaben zu Todmanns Lebenslauf stammen aus Unterlagen aus dem Hauptstaatsarchiv Dresden (HStA DD, 11125, 14642, Bl. 71-74), aus dem Archiv der Hochschule für Bildende Kunst Dresden (HfBK Dresden, 05/Ka045, Bl. 4 und 05/Ka054, Bl. 169-179) sowie aus dem Stadtarchiv Dresden (Sterberegistereintrag Todmann, Standesamt VII Dresden, 1954/Nr. 967). ↩︎
  8. Die genannten Kunstwerke finden sich bei Altner, Manfred (1990): Dresden. Von der Königlichen Kunstakademie zur Hochschule für Bildende Künste [1764-1989], S. 253 und 311. ↩︎
  9. Gerhardt Müller: „Dunkelhäutiger Mann (wahrscheinlich Thomas Todtmann)“, 1936, Kustodie der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Inv.-Nr. B 00493, z.g. 1-3. Wir danken Sven Barnick, Mitarbeiter Archiv und Kustodie der HfBK, für seine Unterstützung. ↩︎