Das Interview ist Teil der begleitenden Blog-Reihe zur Intervention Rethinking Stadtgeschichte: Perspektiven jüdischer Geschichten und Gegenwarten in der Dauerausstellung des Stadtmuseums Dresden 2021/2022. Angesichts der aktuellen Überlegungen zu einem Jüdischen Museum für Sachsen kommen an dieser Stelle Akteurinnen und Akteure, die sich mit dem Thema beschäftigen, Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden in Sachsen, von Politik und Gesellschaft sowie Expertinnen und Experten mit ihren Standpunkten, Ideen, Kritiken und Perspektiven zu Wort.
Zur Einführung in die aktuelle Museumsdebatte
Zur Person:
Dr. Justus H. Ulbricht studierte von 1974 bis 1979 in Tübingen Geschichte, Germanistik und Allgemeine Pädagogik. Seit 2009 lebt er in Dresden, wo er von 2016 bis 2020 Geschäftsführer des Dresdner Geschichtsvereins und Redakteur der Dresdner Hefte war. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählten unter anderem Denkmalsgeschichte und Erinnerungskultur. Ulbricht ist Vorstandsmitglied des Vereins Denk Mal Fort und engagiert in der AG 13. Februar.
(1) Was halten Sie von der Idee, ein „jüdisches Museum“ in Sachsen einzurichten?
Die Idee ist an sich gut, es wird nur darauf ankommen, die jüdische Seite unserer Kultur nicht zu externalisieren und damit zu exotisieren. Bezogen auf Dresden heißt das: Jüdisches Leben in Geschichte und Gegenwart gehört mitten ins Stadtmuseum und nicht in einen eigenen Neubau oder ähnliches. Wer sich mit „jüdischer Kultur“ in Deutschland und Dresden befasst, befasst sich mit einem bestimmten Feld unserer aller Kultur!!!
(2) Wo und wie sollte jüdische Geschichte und Gegenwart zugänglich gemacht werden?
Neben dem Stadtmuseum könnte ich mir vorstellen, diese auch an einzelnen Orten in der Stadt, wo sich einst Wohnhäuser, Geschäfte und Hotels von Jüdinnen und Juden oder etwa die Räume jüdischer Vereinslokale befanden, zu präsentieren. Das kann man heutzutage gut mit digitaler Hilfe, also etwa mit Apps und QR-Codes machen, wie aktuell auch am Alten Leipziger Bahnhof. Der Bahnhof, von dem Dresdner Jüdinnen und Juden 1943 nach Auschwitz deportiert wurden, wäre so ein Ort von vielen, aber nicht der Hauptort. Man darf „jüdische Geschichte“ nicht immer nur von deren weitgehendem Ende in der Shoah her lesen. In den örtlichen Museen und Kunstsammlungen könnte man bestimmte Exponate kenntlich machen, die zum Aspekt „jüdische Kultur“ gehören, wie das aktuell etwa im Rahmen der Intervention „Rethinking Stadtgeschichte“ im Stadtmuseum Dresden passiert.
Darüber hinaus ist auch wichtig, auf Orte hinzuweisen, an denen heute „jüdisches Leben“ und religiöses Judentum gelebt werden.
(3) Was kann und was sollte präsentiert werden?
Fotos und Artefakte sind unverzichtbar, Dreidimensionales gehört einfach dazu. Weiterhin sind aufbereitete Ego-Dokumente zentral, denn es geht um gelebtes jüdisches Leben über die Jahrhunderte. Großporträts von Jüdinnen und Juden im öffentlichen Raum sind ebenfalls denkbar, wie etwa beim Projekt „Die Zeugen“, bei dem der Fotograf Thomas Müller 32 Porträts ehemaliger Buchenwaldhäftlinge an verschiedenen Orten in Weimar aufstellen ließ.
(4) Wer soll erreicht werden?
Prinzipiell sollte man alle erreichen. Wichtig sind Jugendliche, die jüdisches Leben aus Erzählungen und aus der Schule dominant nur als „jüdisches Sterben“ während der Shoah kennenlernen. Wichtig ist es darüber hinaus, Migrant*innen, Neubürger*innen und Zugereiste eigens und gezielt anzusprechen, denn wer aus einer anderen als der deutschen Kultur kommt, hat andere Bilder und Stereotype jüdischen Lebens im Kopf.
Je nach Zielgruppe sind unterschiedliche Vermittlermedien zu nutzen: Für Jüngere muss möglichst viel handy- und computertauglich sein, sie sollten umgekehrt aber auch mit der Aura des Dinglichen in Kontakt gebracht werden.
(5) Wenn Sie ein museales Objekt auswählen könnten, das Sie als besonders aussagekräftig für Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens halten, welches wäre das – und warum?
Diese Frage kann ich nur schwer beantworten, da ich die Bestände nicht im Detail kenne: Die Thora war und ist für gläubige Jüdinnen und Juden zumindest immer dabei, seit Jahrtausenden. Dazu etwas vielleicht Unerwartetes: Matze, Pelmeni oder die Fahne eines jüdischen Sport- oder Veteranenvereins. Zusammen mit drei bis fünf Büchern bekannter jüdischer Autor*innen könnte man dies alles etwa in einer Großvitrine im Stadtmuseum inszenieren.
(6) Was sollte in der Debatte um ein Jüdisches Museum als nächstes passieren?
Die Akteur*innen und Entscheidungsträger*innen sollten erst einmal klären, was sie denn unter „jüdischem Leben“ und „jüdischer Kultur“ verstehen und in welchem Themenfeld sie unverzichtbare Schwerpunkte setzen würden. Und dann könnte man trefflich darüber streiten, mit welchen Argumenten und aus welchen Motiven man denn ein solches Museum möchte – der Verweis auf die Shoah allein ist kein hinreichendes Argument.