Seit nunmehr über zwei Jahren beschäftigt sich das Stadtmuseum Dresden mit der Aufarbeitung von Menschenausstellungen und „Völkerschauen“ in der Stadt. Als wir 2021 begannen, das Thema zu beforschen, waren Details und vor allem Ausmaße zu den regionalen Schaustellungen von Menschen in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Auch in ganz unterschiedlichen Gesprächen stellten wir fest, dass das Thema in der Bevölkerung fragende Gesichter und manchmal auch Verwirrung und Irritation hervorruft. Erst recht nicht konnte man sich vorstellen, dass es sogar Bezüge zur Gegenwart gibt.

Das Thema und wir

Als Team haben wir uns in einem Leitbildprozess ab 2021 darauf verständigt, mit unserer Museumsarbeit Erkenntnisse zu ermöglichen, zu Begegnungen einzuladen und Menschen zu ermutigen, relevante Stadtthemen zu verhandeln. Was relevant ist oder vielleicht auch nicht, darüber gibt es selten übereinstimmende Meinungen. Wir wissen, dass nicht alle Perspektiven auf ein Thema in einem Projekt abgebildet werden können. Dennoch sehen wir ein enormes Potential in der Aufarbeitung dieses Themas, denn es ist zum einen verknüpft mit der europäischen und deutschen Kolonialgeschichte. Zum anderen lassen sich Menschenausstellungen über einen sehr langen Zeitraum in Dresden nachweisen und sind Teil verschiedener Institutionsgeschichten, wie die vielen Beiträge unseres im Frühjahr 2023 herausgegebenen Sammelbands „MENSCHENanSCHAUEN. Selbst- und Fremdinszenierungen in Dresdner Menschenausstellungen“1 zeigen.

Das Bild zeigt das von einer Künstlerin gestaltete Cover des Begleitbuches zur Ausstellung. Im unteren Bereich sind Schemen verschiedener Menschen zu erkennen. Im Hintergrund befindet sich ein angedeutetes, großes Auge.
Cover Sammelband „MENSCHENanSCHAUEN“

Im Sammelband deutet sich bereits an, dass die Aufarbeitung unserer Vergangenheit seit geraumer Zeit von „Erinnerungskämpfen“2 geprägt ist. Diese Kämpfe zwischen Wissenschaftler:innen, oder auch Gruppen der Zivilgesellschaft, finden statt, weil bestimmte Gedanken und Wahrnehmungen aus der lange zurückliegenden Vergangenheit bei genauer Betrachtung sehr deutlich in unsere Gegenwart hineinreichen. Und sie finden statt, weil manche Stimmen an diesem Diskurs nicht teilnehmen (können). Es geht also um das kollektive und subjektive Geschichtsbewusstsein in einer sich rasant verändernden Gegenwart.

Oft sind zum einen bestimmte öffentliche Institutionen und Orte wie der Zoo Dresden mit auch unbequemer Geschichte konfrontiert.3 Zum anderen sind heutige Probleme der Gesellschaft wie beispielsweise die Angst vor „dem Fremden“, das (nicht immer bewusste) Denken in rassistischen Klischees oder eine vermeintliche Überlegenheit der eigenen Kultur Nachwirkungen der kolonialen „Völkerschauen“. Für das Stadtmuseum ist dieses Thema daher ausstellungsrelevant: Eine von uns und für uns erarbeitete Strategie legt fest, dass sich im Querschnitt der Programme die Vielfalt der Stadt und ihrer Menschen widerspiegeln soll.

Die Diskussionen um die Bedeutung der vergangenen „Völkerschauen“ und Menschenausstellungen nimmt die Stadtgesellschaft unterschiedlich wahr. In Dresden leben wir mittlerweile in einer Einwanderungsgesellschaft. Das bedeutet auch, dass neue Perspektiven Einzug in unsere Erinnerungskultur halten, das ist ein normaler Prozess. Diese neuen Perspektiven verdrängen nicht bereits Bestehendes, sondern alles überlagert sich. Und diese Überlagerung führt dazu, dass wir kontinuierlich gemeinsam verhandeln müssen, an was und wie wir uns erinnern. Die Kolonialgeschichte und das damit unmittelbar verknüpfte Ausstellen von Menschen zu verschiedenen Zwecken stößt deshalb auf ganz unterschiedliche Reaktionen und Emotionen – je nachdem in welcher Beziehung wir dazu stehen. Diese vielstimmigen sowie teilweise widersprüchlichen und streitbaren Ansätze stecken in der Thematik selbst: In ihr gibt es Beispiele der Ausbeutung und des Missbrauchs neben Geschichten der Selbstermächtigung.

Wie das Museumsteam zum Thema steht ist eindeutig – wir sind vorrangig weiß positioniert und daher von der Kultur geprägt, die Menschenausstellungen und „Völkerschauen“ hervorgebracht hat. Wir sind privilegiert, weil wir zum größten Teil festangestellt in den Institutionen sitzen, Themen und Schwerpunkte festlegen können. Wir können dieses Privileg aber auch nutzen und den Perspektiven Zugang verschaffen, die bislang noch nicht abgebildet bzw. unterrepräsentiert sind in öffentlichen Kultureinrichtungen wie Museen. Wir können diese Perspektiven sichtbar machen für die Gesellschaft und dazu einladen, eine andere Sichtweise einzunehmen. Dass diese Ziele hochgesteckt sind, das wissen wir. Wir wissen als öffentliche Kultureinrichtung auch um das enorme Diskurspotential.

Eine Ausstellungsidee entsteht

Etwas, das stark verhandelt wird und zugleich viele Fragen aufwirft, kann kaum in eine statische Sonderausstellung gepresst werden. Für solche Themen in Bewegung sind unsere bewährten Museumsmedien begrenzt. Wir haben uns daher entschlossen, das für uns neue Format einer „Werkstattausstellung“ zu erproben. Die Ausstellung ist nicht als finales, fertiges „Produkt“ zu denken, sondern als veränderbares Schaufenster. Dieses soll nicht nur dazu einladen, hineinzuschauen, sondern – wenn der Bedarf da ist – auch über dieses offenstehende Fenster hineinzutreten (mehr dazu weiter unten). Damit verpflichten wir uns auch zu unserem Leitbildziel, eine lernende Organisation zu sein, die sich fortwährend weiterentwickelt.

Um eine konkrete Idee für das Stadtmuseum Dresden zu entwickeln, hat sich das Projektteam (bestehend aus Kustodie/Kuratorin, Bildung und Vermittlung, Direktion) im Vorfeld ganz unterschiedliche Projekte anderer Museen (u.a. in Berlin, Hamburg, Leipzig, Dortmund und Minden) angeschaut und Gespräche über deren Erfahrungen geführt. Besonders interessiert haben wir uns für Reaktionsmöglichkeiten des Publikums während der Ausstellungslaufzeit und erste Erfahrungen, wie diese angenommen wurden. Außerdem regten die Besuche unsere Überlegungen an, von Beginn an möglichst unterschiedliche, teils auch (für Besuchende eines Stadtmuseums) ungewohnte Zugänge mittels beispielsweise Kunst-Interventionen einzubinden.

Eine Ausstellung entsteht heute nicht mehr ausschließlich hinter den Museumsmauern, oft gibt es viele begleitende Beratungen und Gespräche. Im konkreten Fall der „MENSCHENanSCHAUEN“-Ausstellung haben wir uns fortlaufend (teils auch im gesamten Team) rassismuskritisch beraten lassen. Das betraf vor allem den Umgang mit Objekten, Bildern und Sprache.

Welche Themen gibt es in der Ausstellung?

Zurschaustellungen von Menschen fanden seit dem 17. Jahrhundert bis weit in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts an unterschiedlichen Dresdner Orten statt. Im kulturhistorischen Teil der Ausstellung geben wir zunächst einen Einblick in Vor- und Parallelgeschichten, die in Dresden unter anderem am fürstlichen Hof, in Gaststätten und Hotels sowie in Panoptiken (Wachsfigurenkabinetten) und auf Jahrmärkten und Volksfesten wie der Dresdner Vogelwiese stattfanden. Einen großen Teil nimmt – nicht überraschend – der Zoologische Garten Dresden mit über 70 nachgewiesenen „Völker“- und Menschenschauen ein. Wir beleuchten das Zoogelände während der Hochphase der Völkerschauen (1878-1934) und geben Einblicke in das Schauprogramm sowie dessen Bewerbung. Während der Beforschung des Themas entstand ein reger Kontakt zu anderen Institutionen. Dazu zählt das Museum für Völkerkunde Dresden (SKD), das materielle Überlieferungen von ganz unterschiedlichen Begegnungen während dieser Veranstaltungen bewahrt und dankenswerterweise zur Ausstellung beisteuerte. Neben dem Zoo geben wir noch Einblick in die Schauplätze Ausstellungsgelände (Großer Garten) sowie den Zirkus (Sarrasani). Auch hier gab es verschiedene Formen der „Völkerschauen“, die weit über die Zeit des Deutschen Kaiserreichs fortwirkten. Auch das damit verknüpfte Thema der Fortschreibung bestimmter Stereotypen ist Teil dieser Ausstellung.

Im kulturhistorischen Teil gibt es zudem Hinweise auf allen vorhandenen Texten, die zu einem Glossar (zum Mitnehmen) führen. Dieses Bildungsangebot ermöglicht durch die einfache Erklärung bestimmter Begriffe wie beispielsweise „Eurozentrismus“ oder „Fremdbezeichnung“, das große und oft schwierige Thema des Rassismus besser zu verstehen.

Zu sehen sind 3 Varianten des Ausstellungsplakats. Sie zeigen den Ausstellungstitel in großen Buchstaben und den Zeitraum. Die Farben sind lila/gelb, rot/flieder, orange/lila.

Welche Perspektiven gibt es in der Ausstellung?

Sammlungsobjekte geben im kulturhistorischen Teil einen Einblick in die Vergangenheit und sollen zeitgleich weitere Zugänge und (Be)-Deutungen auslösen. Eine beispielhafte Umsetzung dieses Ansatzes ist die – durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen ermöglichte – Intervention „Raster der Gewalt. Von Blicken zu Taten“ des Kunsthauses Dresden4. Sie versammelt Werke von 18 regionalen, überregionalen und internationalen Künstler:innen und Kollektiven und widmet sich aus künstlerischer Sicht heutigem Rassismus und rassistischer Gewalt. Im Rahmen des geplanten Werkstattcharakters der Ausstellung begleiten und ergänzen die unterschiedlichen Arbeiten das museale Material und die historischen Strategien aus aktueller Perspektive und nehmen teils direkten Bezug auf bestimmte Themen oder Objekte. Da sie sich teils mit konkreten Fällen der Gegenwart auseinandersetzen, werden bestimmte Bereiche mit Inhaltshinweisen (Content Notes) markiert.

Welche Möglichkeiten zum Mitmachen gibt es innerhalb und außerhalb der Ausstellung?

Die verschiedenen Zugänge werden (so hoffen wir) Gedanken und Meinungen hervorbringen, die wir gerne in der Ausstellung auffangen und weiterverarbeiten möchten. Zum einen wird dafür während der Ausstellungslaufzeit geschultes Personal in der Ausstellung anwesend sein (Freitag bis Sonntag). Diese Menschen stehen für unmittelbare Fragen zur Verfügung. Weiterhin gibt es bei jedem Themenbereich die Möglichkeit, auf bereitgestellten Karten eigene Gedanken / „Blicke“ loszuwerden und sie – sofern sie sich auf dem Boden der Demokratie und des Grundgesetzes bewegen – in den Dialog mit anderen Gedanken in der Ausstellung zu bringen. Für umfangreichere Partnerschaften stehen außerdem drei Freiflächen (Blank Spaces) in der Ausstellung zur Verfügung. Dort können bis Juli 2024 weitere Inhalte in Kooperation und mit finanzieller Unterstützung durch das Stadtmuseum präsentiert werden.

Wer nicht direkt mitmachen, aber sich dennoch vertieft informieren möchte, den begrüßen wir gerne bei einer unserer vielfältigen Veranstaltungen des Begleitprogramms5. Dieses entstand in Kooperation mit dem Ausländerrat Dresden e.V., Dresden postkolonial, Netzwerk für Demokratie und Courage in Sachsen, Kolibri e. V., Städtische Bibliotheken Dresden, Technische Universität Dresden und Karl May Museum Radebeul.

  1. www.verlag.sandstein.de ↩︎
  2. Jürgen Zimmerer (Hg.): Erinnerungskämpfe. Neues deutsches Geschichtsbewusstsein, Ditzingen 2023. ↩︎
  3. www.dresden-postkolonial.de/offener-brief-an-den-zoologischen-garten-dresden ↩︎
  4. www.kunsthausdresden.de ↩︎
  5. www.stmd.de/menschenschau ↩︎