Gastbeitrag von Daniel Ristau

Das Interview ist Teil der begleitenden Blog-Reihe zur Intervention Rethinking Stadtgeschichte: Perspektiven jüdischer Geschichten und Gegenwarten in der Dauerausstellung des Stadtmuseums Dresden 2021/2022. Angesichts der aktuellen Überlegungen zu einem Jüdischen Museum für Sachsen kommen an dieser Stelle Akteurinnen und Akteure, die sich mit dem Thema beschäftigen, Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden in Sachsen, von Politik und Gesellschaft sowie Expertinnen und Experten mit ihren Standpunkten, Ideen, Kritiken und Perspektiven zu Wort.

Zur Einführung in die aktuelle Museumsdebatte

Dr. David Klein, Foto: ©Maximilian Helm

Zur Person:

David Klein, Jahrgang 1978, studierte Klavier, Musikpädagogik und Kulturmanagement und promovierte in Musikwissenschaft. Nach einer mehrjährigen Vorstandstätigkeit in einem Hamburger Privattheater wechselte er als Referent für Musik und Tanz und stellvertretender Leiter der Kulturabteilung in das Amt für Kultur und Denkmalschutz der Landeshauptstadt Dresden. 2018 übernahm er die Leitung des Büros „Europäische Kulturhauptstadt Dresden 2025“ und damit die Koordination der Bewerbung der Landeshauptstadt Dresden um diesen Titel. Seit 2020 ist er Leiter des Amtes für Kultur und Denkmalschutz in Dresden.

(1) Was halten Sie von der Idee, ein „jüdisches Museum“ in Sachsen einzurichten?

Ein jüdisches Museum in Dresden ist seit 2021 erklärtes Ziel der Kommunalpolitik und angesichts der vielfältigen jüdischen Geschichte in der Stadt, der Region und im Freistaat insgesamt sehr angemessen.

(2) Wo und wie sollte jüdische Geschichte und Gegenwart zugänglich gemacht werden?

Ich sehe für eine zukünftige Einrichtung drei wesentliche Ziele: erstens eine moderne und wissenschaftlich fundierte Präsentation der jüdischen Geschichte in Dresden, Sachsen und Mitteleuropa, zweitens ein zeitgemäßes (Kultur-)Zentrum für Begegnungen zwischen Menschen jüdischen und nichtjüdischen Glaubens sowie drittens einen Ort des Gedenkens und der Erinnerung an die Verfolgung jüdischer Menschen insbesondere im Nationalsozialismus, aber auch in anderen Geschichtsepochen.

Ob sich diese drei Ziele an einem Ort umsetzen lassen oder verschiedener Orte bedürfen, muss in der aktuellen Diskussion geklärt werden. In Dresden bietet aus meiner Sicht momentan das Areal rund um den ehemaligen (Alten) Leipziger Bahnhof die größten Potenziale für die Verwirklichung dieser Ziele. Begegnung, Präsentation und Erinnerung lassen sich hier mit den Möglichkeiten zur baulichen Entwicklung, den vorhandenen Gebäuden und Strukturen, aber auch der zentralen innerstädtischen Lage bestens verbinden.

Und für mich steht fest: Die Kombination aus Museum, Begegnungs- und Erinnerungsort muss konsequent und mindestens gleichberechtigt mit einem gebauten Ort im digitalen Raum gedacht werden! Das Internet ist der am stärksten frequentierte öffentliche Raum unserer Zeit. Eine neue Institution sollte sowohl in ihrer Standortwahl als auch in ihrer Arbeitsmethodik konsequent von der virtuellen Welt ausgehen, die für die Mehrzahl der Menschen in unserer Gesellschaft mittlerweile zur natürlichen Umgebung geworden ist.

Screenshot aus dem Virtuellen 3D-Stadtmodell „Dresden 3D“, rechts Gemeindezentrum und Neue Synagoge am Hasenberg, Foto: ©Amt für Geodaten und Kataster

(3) Was kann und was sollte präsentiert werden?

Ich wünsche mir, dass aktuelles jüdisches Leben in allen relevanten Ausdrucksformen zum Schwerpunkt einer neuen Institution wird. Ein vielfältiges Programm, kombiniert aus Ausstellungen, Konzert- und Theaterveranstaltungen, Diskussionen und vor allem Begegnungsformaten sollte im Mittelpunkt stehen. Die übergeordneten Fragen lauten: Was kennzeichnet heute jüdisches Leben in Sachsen? Wie verhalten sich in einer Stadtgesellschaft wie Dresden Menschen jüdischen Glaubens zu Menschen anderer Religionsgemeinschaften oder zu Konfessionslosen? Ist die religiöse Frage überhaupt noch relevant oder geht es vielmehr um unterschiedliche Formen von (Alltags-)Kultur, vielleicht auch um Vorurteile und Stereotype, wiedererstarkenden Antisemitismus? Und wie gehen die heute in Dresden lebenden Einwohnerinnen und Einwohner mit der wechselhaften lokalen Geschichte jüdischer Menschen um? Welche Verantwortung übernehmen die heutigen Institutionen und die Stadtgesellschaft für Erinnerung wie Verständigung? Insofern: klarer Fokus auf Diskurs, aktuelle Präsentationen jüdischen Lebens und Vergegenwärtigung des Vergangenen in unterschiedlichen Formen!

(4) Wer soll erreicht werden?

Ein neues Jüdisches Museum, Begegnungs- und Erinnerungszentrum sollte sich in erster Linie an die gegenwärtige Stadtgesellschaft sowie an zukünftige Generationen wenden.

(5) Wenn Sie ein museales Objekt auswählen könnten, das Sie als besonders aussagekräftig für Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens halten, welches wäre das – und warum?

Dazu fällt mir im Moment nichts ein, die Expert*innen im Feld kennen aber mit Sicherheit eine ganze Menge besondere Objekte, die jüdische Geschichte und Gegenwart repräsentieren.

(6) Was sollte in der Debatte um ein Jüdisches Museum als nächstes passieren?

Für Dresden werden wir als Verwaltung 2022 die Ergebnisse der unterschiedlichen Diskussionen bündeln und dem Stadtrat einen Entscheidungsvorschlag zum weiteren Vorgehen unterbreiten. Dann ist die Kommunal-, aber auch die Landespolitik erneut am Zug: Dem grundsätzlichen Bekenntnis zu einem Jüdischen Museum müssen nun die finanziellen und personellen Grundlagen folgen, damit das Vorhaben weiter fortschreiten kann.

Alter Leipziger Bahnhof Dresden, um 1885, Foto: wikipedia; CC BY-SA 4.0