Gastbeitrag von Daniel Ristau

Das Interview ist Teil der begleitenden Blog-Reihe zur Intervention Rethinking Stadtgeschichte: Perspektiven jüdischer Geschichten und Gegenwarten in der Dauerausstellung des Stadtmuseums Dresden 2021/2022. Angesichts der aktuellen Überlegungen zu einem Jüdischen Museum für Sachsen kommen an dieser Stelle Akteurinnen und Akteure, die sich mit dem Thema beschäftigen, Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden in Sachsen, von Politik und Gesellschaft sowie Expertinnen und Experten mit ihren Standpunkten, Ideen, Kritiken und Perspektiven zu Wort.

Zur Einführung in die aktuelle Museumsdebatte

©André Lang

Zur Person:

Andrè Lang wurde 1946 in Manchester geboren. Seine Eltern hatten Deutschland in den 1930er-Jahren aufgrund antisemitischer und politischer Verfolgung verlassen. 1946 kehrten sie als Überlebende gemeinsam mit ihren zwei Kindern in das von den Alliierten befreite Deutschland – nach Dresden – zurück. André Lang ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und leitete mehrere Jahre deren Baukommission. Seit vielen Jahren engagiert er sich in zivilgesellschaftlichen Initiativen wie „Dresden Nazifrei“ und „HERZ STATT HETZE“ gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus in der Gesellschaft. Regelmäßig spricht er im Rahmen des Projekts „Wider das Vergessen“ in der Stadt Hoyerswerda als Zeitzeuge der 2. Generation mit Schüler*innen.

(1) Was halten Sie von der Idee, ein „jüdisches Museum“ in Sachsen einzurichten?

Zunächst halte ich die Initiative des Dresdner Stadtrates, sich – wesentlich gründlicher und tiefgreifender als bisher – mit der nahezu tausendjährigen Geschichte der Juden und Jüdinnen in Sachsen zu beschäftigen, für außerordentlich unterstützenswert. Allerdings wäre es aus meiner Sicht notwendig, zunächst die inhaltliche Ausrichtung zu klären und nicht die Debatte über das Wo – beispielsweise Alter Leipzig Bahnhof oder ehemaliges Palais Oppenheim – in den Vordergrund zu stellen. Anmerken möchte ich auch, dass wir ja in „unmittelbarer Nachbarschaft“, in Berlin ein sehr gutes Jüdisches Museum haben.

Überhaupt stellt sich für mich die Frage: Wollen die Menschen wirklich ein neues Jüdisches Museum in Dresden oder nicht lieber an jenen Orten, an denen sich jüdische Geschichte konkret manifestiert, diese erlebbar spüren? Wir sollten also in der weiteren Diskussion unbedingt auch die (Stadt-)Bevölkerung generationsübergreifend mit einbeziehen. Gerade auch die Perspektive junger Menschen und deren Meinung zu einem Jüdischen Museum in Dresden fehlen mir bisher in der jetzigen Debatte.

(2) Wo und wie sollte jüdische Geschichte und Gegenwart zugänglich gemacht werden?

Ein Jüdisches Museum in Dresden ist eine von mehreren Möglichkeiten, um jüdische Geschichte und Leben in Dresden erlebbar zu machen. Ich sehe aber auch noch viele andere Möglichkeiten der Darstellung und des Erlebens der Geschichte von Jüdinnen und Juden an bedeutenden Plätzen der Stadt.

Da gibt es zum Beispiel den Alten Jüdischen Friedhof, den ältesten erhaltenen jüdischen Friedhof in Sachsen auf der Pulsnitzer Straße (ehemals Judengasse) in der Dresdner Neustadt.

Dazu gibt es bereits erste Ideen, die gemeinsam mit einer jungen Architektin entwickelt wurden, wie dort jüdische Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts (1751 bis 1869) besser sichtbar gemacht werden könnte. Dass dieses Projekt weiter vorankommt, wäre mir ein großes Anliegen.

Eine ähnliche Situation findet sich auf dem Neuen Israelitischen Friedhof (seit 1869) an der Fiedlerstraße. Auch hier besteht die Möglichkeit, die Gräber bedeutender Dresdner Jüdinnen und Juden – wie Oberrabbiner Wolf Landau, der Bankiersfamilie Georg Arnhold, des Mediziners Heinrich Conradi, des Historikers Helmut Eschwege und vieler anderer mit Hinweistafeln – auch in digitaler Form – besser sichtbar und zugänglicher zu machen. Das alles sind Dinge, die man schnell realisieren könnte, ohne gleich ein neues Museum zu bauen.

Auch die vor zwanzig Jahren errichtete Neue Dresdner Synagoge und das Gemeindehaus mit möglichem, aber leider nicht betriebenem Restaurant und großem Veranstaltungsaal könnte viel besser genutzt werden. Ich würde mich freuen, wenn sich die Jüdischen Gemeinde zu Dresden auch auf die Darstellung und das Erleben ihrer Geschichte nach außen hin konzentrieren würde.

Den Befürchtungen, dass zunehmender Antisemitismus – auch das Attentat von Halle – leider zur Konsequenz haben müsse, dass man Synagoge und Gemeindehaus mehr nach außen hin „abschotten“ müsse, kann und werde ich mich als alter Dresdner Jude nicht anschließen. Jüdisches Leben in Dresden muss sichtbar und erlebbar sein. Die Pole von Sicherheit und Öffnung müssen bestmöglich verbunden werden.

Der Alte Jüdische Friedhof in Dresden, Foto: André Lang

(3) Was kann und was sollte präsentiert werden?

Diese Frage sollte – da schließe ich mich voll den Ausführungen von Miriam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, an – „von Kurator*innen entschieden werden, die die materiellen Zeugnisse der jüdischen Kultur in der Region kennen“.

Natürlich – auch wenn das nur ein kleiner Zeitabschnitt in unserer nahezu 1000-jährigen Geschichte ist – kann und darf die antisemitische Verfolgung und geplante Vernichtung der Juden und Jüdinnen in der Zeit des Nationalsozialismus nicht vergessen werden. Der Dresdner Stadtrat hat am 22. April 2021 beschlossen, dass am Alten Leipziger Bahnhof ein angemessener Erinnerungsort zum Gedenken an die Shoah errichtet werden soll.

Zivilgesellschaftliche Initiativen wie „HERZ STATT HETZE“ oder das „Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen“ fordern, dass am Alten Leipziger Bahnhof eine dauerhafte Erinnerungs-, Begegnungs- und Bildungsstätte entsteht. Im Rahmen des Erinnerns zum 80. Jahrestag der Deportation von Dresdner und Leipziger Juden und Jüdinnen am 20. Januar, bei der der Alte Leipziger Bahnhof eine zentrale Rolle spielte, fand eine erste Gedenkveranstaltung auf dem Gelände statt.

(4) Wer soll erreicht werden?

Jüdische Kultur zu vermitteln, heißt gleichzeitig daran zu erinnern, welche Last Jüdinnen und Juden in der Zeit des Faschismus tragen mussten. Dabei muss das Erinnern zum konkreten Handeln gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus in der heutigen Zeit führen.

(5) Wenn Sie ein museales Objekt auswählen könnten, das Sie als besonders aussagekräftig für Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens halten, welches wäre das – und warum?

Das kann ich so allumfassend – da ich kein Historiker bin – nicht sagen. Für mich bieten sich aber folgende Orte an:

  • der Alte Leipziger Bahnhof, für mich ein wichtiges, bis spätestens 2024/2025 zu realisierendes Projekt der Erinnerung, Begegnung und Bildung
  • die Neue Dresdner Synagoge und das Gemeindehaus
  • der Alte Jüdische Friedhof
  • der Neue Israelitische Friedhof

(6) Was sollte in der Debatte um ein Jüdisches Museum als nächstes passieren?

Für mich stellen sich aktuell folgende Fragen:

Braucht Sachsen in den nächsten fünf Jahren ein Jüdisches Museum? – Ich tendiere dazu, dass dies auf absehbare Zeit nicht umsetzbar ist.

Braucht beziehungsweise wünscht Dresden eine weitergehende Darstellung jüdischer Geschichte? – Wenn man diese Frage bejaht, dann sollte man sich erst einmal der bereits existierenden Orte annehmen. Dann müssen jetzt und nicht irgendwann Stadtrat, Stadtverwaltung, die Jüdischen Gemeinden und nicht zuletzt die Dresdner Zivilgesellschaft die notwendigen Aktivitäten einleiten.

Meine Befürchtung ist vor allem, dass die Debatte um die Errichtung eines Jüdischen Museums alles überlagert, Jahre dauert und auf absehbare Zeit keine konkreten Erinnerungs- und Erlebensorte geschaffen werden. Ich wünsche mir daher, dass die schneller realisierbaren Projekte an den beiden jüdischen Friedhöfen und am Leipziger Bahnhof zügig vorangebracht werden. Selbstverständlich spricht aber nichts dagegen, die Diskussion um ein Jüdisches Museum in Dresden weiterzuführen.

Das Gemeindezentrum der Jüdischen Gemeinde zu Dresden am Hasenberg, Foto: André Lang