Gastbeitrag von Daniel Ristau

Das Interview ist Teil der begleitenden Blog-Reihe zur Intervention Rethinking Stadtgeschichte: Perspektiven jüdischer Geschichten und Gegenwarten in der Dauerausstellung des Stadtmuseums Dresden 2021/2022. Angesichts der aktuellen Überlegungen zu einem Jüdischen Museum für Sachsen kommen an dieser Stelle Akteurinnen und Akteure, die sich mit dem Thema beschäftigen, Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden in Sachsen, von Politik und Gesellschaft sowie Expertinnen und Experten mit ihren Standpunkten, Ideen, Kritiken und Perspektiven zu Wort.

Zur Einführung in die aktuelle Museumsdebatte

Solvejg Höppner, Foto: ©Solvejg Höppner

Zur Person:

Solvejg Höppner berät im Mobilen Beratungsteam des Kulturbüro Sachsen e.V. (www.kulturbuero-sachsen.de) Menschen in den unterschiedlichsten Kontexten, die sich mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und anderen Ungleichwertigkeitsvorstellungen in der Gesellschaft auseinandersetzen wollen. Sie beschäftigt(e) sich mit der Geschichte jüdischer Menschen in Sachsen, Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart sowie kritisch-politischer Bildung.

(1) Was halten Sie von der Idee, ein „jüdisches Museum“ in Sachsen einzurichten?

Ehrliche Antwort? Mein erster Gedanke war: Wozu? Jüdisches Leben ist in Sachsen zu unserem Glück wieder (!) lebendig. Warum sollte man es in ein Museum einhausen? Der zweite Gedanke: Schon klar! Es geht darum, Gegenwart und Geschichte jüdischen Lebens wie auch die Ausgrenzung, Vertreibung und Vernichtung jüdischer Menschen vor allem, aber nicht nur in der Zeit des NS in dieser Region sichtbar zu machen. Und das wiederum halte ich für einen eminent wichtigen Baustein für ein kritisches Verständnis von Geschichte und für Impulse zur Entwicklung unseres gesellschaftlichen Lebens in der Gegenwart.

Bedarf es dazu eines Museums?  Natürlich hat sich die Idee, was ein Museum ausmacht, wie es gestaltet wird – z. B. eben nicht nur von Wissenschaftler:innen und Kurator:innen – grundlegend verändert. Sie sind weit mehr als Orte der Präsentation, Sammlung, Bewahrung und Forschung; es geht um Begegnungen, Auseinandersetzung, kulturelles Lernen im weitesten Sinn. Wichtig ist mir, dass Begegnung zwischen Menschen, Begegnung mit jüdischer Geschichte, Begegnung mit jüdischer Kultur, Begegnung mit jüdischer Religion möglich sind. In welcher Form und an welchen Orten dies passiert, müssen diejenigen entscheiden, die diese Begegnungen gestalten. Ein Museum ist (nur) eine Möglichkeit.

(2) Wo und wie sollte jüdische Geschichte und Gegenwart zugänglich gemacht werden?

Überall und immer! Und auf diesem Gebiet passiert einiges: Es gibt unzählige Vereine, Initiativen und Einzelpersonen, die sich mit der Geschichte der Jüdinnen und Juden in ihren lokalen oder regionalen Zusammenhängen beschäftigen. Es entstehen und entstanden Ausstellungen, Gedenktafeln, jede Menge Publikationen. Stolpersteine wurden und werden verlegt. Es gibt Veranstaltungen und Stadtrundgänge auf den Spuren jüdischen Lebens. Und das alles passiert an den unterschiedlichsten Orten von Hoyerswerda bis Plauen, von Zittau bis Delitzsch. Das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz (www.smac.sachsen.de) macht neben Landesarchäologie in einer kleinen Dauerausstellung die Geschichte des früheren Kaufhauses Schocken, in dem sich das Museum befindet, seines jüdischen Gründers Salman Schocken (www.deutsche-biographie.de) und des jüdischen Architekten des Hauses Erich Mendelsohn (www.dhm.de/lemo/biografie/erich-mendelsohn) zugänglich. Vereine wie z. B. HATiKVA (www.hatikva.de) in Dresden oder das Ariowitsch-Haus (www.ariowitschhaus.de) in Leipzig ermöglichen Begegnungen mit jüdischem Leben und jüdischer Kultur in der Gegenwart. Es finden regelmäßig Jüdische Wochen und Kulturtage in Chemnitz (www.tdjk.de), Dresden (juedische-woche-dresden.de) und Leipzig (www.facebook.com/juedischewocheinleipzig) statt. Und das ist keine vollständige Aufzählung.

Diese Vielfältigkeit zu erhalten und zu erweitern, die Verknüpfung mit Aktivitäten über Sachsen hinaus, sei es in Polen, Tschechien oder Sachsen-Anhalt, ist mir ein wichtiges Anliegen.

 
(3) Was kann und was sollte präsentiert werden?

Wie gesagt, die beispielhafte Aufzählung ist nicht vollständig, aber daran müsste m. E. angeknüpft werden. Ich bin mir sicher, die Gegenstände – nicht nur dreidimensionaler Art – entstehen aus den Begegnungen von Menschen, aus den Fragen, die sie an Objekte, aneinander, an ihr alltägliches Leben stellen und den Antworten, die sie finden.


(4) Wer soll erreicht werden?

Hier könnte jetzt eine lange Aufzählung mit klassifizierenden Merkmalen von Menschen stehen. Vielleicht so: Menschen, die sich für jüdisches Leben, jüdische (Alltags-)Kultur, jüdische Religion interessieren und die sie leben. Und diejenigen, die sich nicht interessieren? Denen können wir nichts aufzwingen. Damit wäre nichts gekonnt. Die Kunst wird darin bestehen, das Interesse möglichst vieler Menschen zu wecken.

(5) Wenn Sie ein museales Objekt auswählen könnten, das Sie als besonders aussagekräftig für Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens halten, welches wäre das – und warum?

Naja, ich habe mir die Intervention (www.stmd.de/juedischegeschichten) im Stadtmuseum in Dresden angeschaut, die ich sehr gelungen finde. Was mich u. a. sehr angesprochen hat, war die Frage: Was verleiht einem Objekt das Prädikat „jüdisch“?

Aber mir ist Begegnung wichtig! Dann wären es wohl viele, möglichst verschiedene Stühle, auf die Menschen sich setzen können, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Und ja, einige werden wohl auch leer bleiben.

Leere Stühle für Begegnungen, Foto: ©pixabay

(6) Was sollte in der Debatte um ein Jüdisches Museum als nächstes passieren?

Ich finde, mit diesem Blog und Veranstaltungen der Stadt Dresden – ich meine die digitalen Podiumsdiskussionen (www.blog-stadtmuseum-dresden.de/podiumsdiskussionjudischesmuseum) und diverse Workshops – ist begonnen worden, den Diskurs öffentlich zu führen. Und auch wenn es Beschlüsse von Stadträten in Dresden und Leipzig sind, geht es ja um deutlich mehr als die kommunale Ebene dieser beiden Städte. Meines Erachtens wäre es dran, diese Debatte mit den Akteur:innen in ganz Sachsen zu führen, die sich mit diesen Themen z.T. schon seit Jahrzehnten beschäftigen: Das wären die jüdischen Gemeinden, die Vereine und Menschen, die Kulturtage und Festivals organisieren, die sich mit jüdischer Geschichte beschäftigen, sich aktiv mit Antisemitismus auseinandersetzen. Und da gäbe es auch gute Partner:innen: der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden (www.wikipedia.org), das Netzwerk Jüdisches Leben (www.netzwerk-juedisches-leben.org), das Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen (www.raa-sachsen.de/buendnis-gegen-antisemitismus), das Sächsische Landeskuratorium ländlicher Raum (www.slk-miltitz.de/aktuelles.html), das einen Schwerpunkt Heimatforschung hat, das Netzwerk Tolerantes Sachsen (www.tolerantes-sachsen.de), die sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem NS (www.slag-aus-ns.de), die Stiftung Sächsische Gedenkstätten (www.stsg.de) und andere.

Synagogendenkmal in der Gottschedstraße in Leipzig, Foto: ©Daniel Ristau