Gastbeitrag von Dr. Markus Pieper

Seit 1959 verbindet Dresden mit dem polnischen Breslau (Wrocław) eine lebendige Städtepartnerschaft. Eine der dramatischsten Phasen dieser Partnerschaft fiel in die Jahre 1980 und 1981, also mitten in die Zeit des Kalten Krieges und lange bevor in DDR und Volksrepublik Polen die sozialistischen Diktaturen zusammenbrachen. Hintergrund und Auslöser waren die Aktivitäten der Solidarność in Polen, auf die die DDR-Regierung reagierte.

Eine Delegation polnischer Bergarbeiter bei ihrem Besuch in Dresden im Juni 1957, Foto: Dresdner Bilderdienst Pohl-Höhne, Stadtmuseum Dresden, Museen der Stadt Dresden
Plakat zu einer Sonderausstellung im damaligen Museum für Geschichte der Stadt Dresden, 1969, Fotografien von K. Gorazdowska und T. Olszewski, Stadtmuseum Dresden, Museen der Stadt Dresden
Eröffnung der Fußgängermagistrale Prager Straße in Dresden am 07. Oktober 1969, an der Genosse W. Krolikowski mit sowjetischer und polnischer Delegation aus Wrocław teilnahm, Foto: Erich Höhne, Stadtmuseum Dresden, Museen der Stadt Dresden

Polen erkämpft sich Freiheit

1980 brachen in Polen Streiks aus, im ganzen Land gingen die Menschen massenweise auf die Straße, um gegen die sozialistische Parteidiktatur, die schlechten Lebensbedingungen und für mehr Rechte der Arbeiter zu demonstrieren. So etwas war damals in der DDR undenkbar. Im August 1980 gelang es den Streikenden, die unter ihrem Anführer Lech Wałęsa die Danziger Lenin-Werft besetzt hatten, der Regierung das „Danziger Abkommen“ abzutrotzen: Die kommunistische Regierung sah sich gezwungen, zahlreichen Freiheitsrechten und der Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft, der Solidarność (Solidarität), zuzustimmen. Die Solidarność wurde rasch zur Massenbewegung mit Millionen Mitgliedern. Es folgten Monate der relativen Freiheit, in denen sich die polnische Gesellschaft immer weiter von der Parteidiktatur befreite.

Kämpfe zwischen Solidarność-Demonstranten der Miliz und ZOMO (Motorisierte Reserven der Bürgermiliz) in der Świdnicka Straße in Breslau am 01. Mai 1985, Fotografen: NAF-Dementi: T. Kizny, A. Łoś, A. Łuc, H. Prykiel, Zentrum „Erinnerung und Zukunft“

Solidarność in Breslau

Diese dramatischen Ereignisse schlugen sich auch in Dresdens Partnerstadt Breslau nieder: Mit Arbeitsniederlegungen in den Kupfergruben um Głogów und in vielen Breslauer Großbetrieben beteiligten sich die Arbeitenden an der landesweiten Streikwelle im Sommer 1980. In Breslau und zahlreichen weiteren niederschlesischen Städten gründeten sich nach Danziger Vorbild sogenannte ‚Überbetriebliche Streikkomitees‘. Bis Ende August waren bereits 176 Breslauer Betriebe in den Ausstand getreten und kämpften damit für die Durchsetzung der Forderungen der streikenden Danziger Werftarbeiter. Nachdem das Danziger Abkommen unterzeichnet war, koordinierte ein ‚Überbetriebliches Gründungskomitee‘ die Betriebsorganisation der 1.058 Breslauer ‚Unabhängigen Gewerkschaftskomitees‘. Insgesamt waren in Niederschlesien im Oktober 1980 rund 500.000 Mitglieder in den neuen Komitees organisiert. In der gesamten Region fanden zahlreiche Protestkundgebungen, Demonstrationen und Streiks statt, darunter vom 20. bis zum 26. Oktober 1980 ein Hungerstreik der Breslauer Bahnarbeiter.

DDR-Bürger reisen in ein freies Land

In dieser Zeit führten die städtepartnerschaftlichen Kontakte mit Polen dazu, dass ostdeutsche Delegationsreisende in Polen mit einer für sie vollkommen fremden Welt konfrontiert wurden. Sie erlebten ein Land, das versuchte, sich von einer Diktatur zu befreien. DDR-Bürger wurden Zeugen von Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Miliz, und das mitten in den Innenstädten eines sozialistischen Bruderlandes. Sie trafen sich mit Partnern, die ohne Parteikontrolle frei sprachen, und erlebten so selbst ein Stück Freiheit.

SED-treue Genossen sahen das natürlich ganz anders. So berichtete der Vorsitzende des Rates des Bezirks Dresden, Manfred Scheler, in einem internen Bericht entsetzt von einem Partnerschaftsbesuch beim Breslauer Woiwoden 1981: „Der am Nachmittag durchgeführte Stadtrundgang zeigte ein erschreckendes Bild. Im Zentrum der Stadt waren Geschäfte, Mauern, Häuser und Straßen mit Hetzlosungen beschmiert bzw. mit Plakaten und Flugblättern beklebt. Jugendliche Gruppen (Studenten) konnten unter den Augen der Miliz Hetzparolen verkünden und Hetzplakate anbringen. Die nachts von Sicherheitskräften mit grauer Farbe überstrichenen Plakate und Flugblätter wurden erneut beklebt. Die Losung: ‚Wir lassen uns die Freiheit nicht mit Farbe überstreichen‘ stand im Mittelpunkt. Forderungen wurden besonders zur Besetzung des polnischen Fernsehens gestellt, wie: ‚Weg mit dem Fernsehmonopol der Partei‘. (…) Die im Zentrum befindlichen Universitäten bzw. Hochschulen werden bestreikt. An den Gebäuden wurde auf großen Plakaten verkündet: ‚Hier wird gestreikt!‘. Die Organisatoren des Streiks (etwa 10 % der Studenten) verhindern dem Rektor und dem Lehrpersonal den Zutritt in die Gebäude.“

Die Staatssicherheit wird aktiviert

Für die DDR-Regierung war das, was im Nachbarland vor sich ging, schlicht eine „Konterrevolution“. Entsprechend scharf fiel ihre Reaktion aus: Die Parteiführung setzte den Staatssicherheitsdienst ein, um alle Partnerschaften streng zu überwachen. Darüber hinaus wurden Teilnehmer an Partnerschaftsaktivitäten und Delegationsreisende als inoffizielle Mitarbeiter (IM) verpflichtet, um ihre polnischen Partner auszuspionieren. So beschloss beispielsweise die Staatssicherheit in Zittau im August 1980, Reisekader der Betriebe, die Kontakte nach Polen hatten, auf Dienstreisen „mit gezielten Aufträgen zu versehen, um zusätzliche Informationen zu erhalten.“ Dies bedeutete nichts anderes, als dass Partnerschaftsaktivitäten zur Spionage eingesetzt wurden.

Im Frühjahr 1981 wies die Kreisdienststelle Zittau der Staatssicherheit den einzelnen Partnerschaften in ihrem Kreis sogar jeweils eigene Stasi-Mitarbeiter, inoffizielle Mitarbeiter und Kontaktpersonen zu. Auch in den Akten der Dresdner Stasi-Bezirksverwaltung finden sich etliche Berichte inoffizieller Mitarbeiter, die auf polnische Partner angesetzt worden waren. Und auch der Zittauer Bürgermeister Christian Kappl hatte der Stasi zugesichert, seine polnischen Städtepartner aus Bogatynia auszuhorchen. Im sogenannten Abspracheprotokoll heißt es: „Dem Gen(ossen) KAPPEL wurden Schwerpunkte genannt, die es in der Gesprächsführung mit den polnischen Gen(ossen) zu beachten gilt. Gen(osse) KAPPEL erklärte sich bereit, in internen Gesprächen, vor allem mit dem 1. Sekretär (der polnischen Partnerpartei), nach den vorgegebenen Schwerpunkten den Informationsbedarf zu decken.“

Die Grenzen sind dicht

Während die DDR-Regierung die Kontrolle verschärfte, erkämpfte die Solidarność in Polen mehr und mehr Freiheiten. Im Oktober 1980 zog die SED die Notbremse und schloss die Grenze nach Polen. Sie setzte damit auf maximale Abgrenzung, um ein Überschwappen des ‚polnischen Bazillus‘ – also der Freiheitsbewegung – auf die DDR zu verhindern. Nahezu alle Partnerschaften wurden unterbrochen, die Zusammenarbeit eingestellt. Fortgeführt werden durften nur Parteikontakte ‚zuverlässiger Kader‘, die der Durchsetzung der SED-Politik gegenüber Polen dienten, was nichts anderes bedeutete, als den Kampf gegen die „Konterrevolution“ in Polen zu führen. Die Städtepartnerschaft hatte ihren absoluten Tiefpunkt erreicht.

Friedhofsruhe in Polen

Am 13. Dezember 1981 verhängte Staats- und Parteichef General Wojciech Jaruzelski in Polen das Kriegsrecht, die Freiheitsbewegung wurde militärisch niedergeschlagen. 25 Menschen verloren dabei ihr Leben, die Solidarność wurde verboten, ihre führenden Köpfe interniert, insgesamt 3.000 Personen verhaftet. Für die SED waren damit Ruhe und Ordnung im Nachbarland wiederhergestellt.

Dauerhaftes Misstrauen

Je stärker die Macht der kommunistischen Regierungspartei in Polen wieder gesichert schien, desto mehr wagte die DDR im Verlauf der achtziger Jahre eine vorsichtige Wiederannäherung. Dies schloss ab 1983 schrittweise auch die Wiederaufnahme von Städtepartnerschaften ein. Auch in der Partnerschaft Dresden–Breslau wurden die einzelnen Aktivitäten nach und nach reaktiviert. Das Kabinett für Kulturarbeit der Stadt Dresden und das Woiwodschafts-Kulturhaus Breslau arbeiteten zum Beispiel bereits 1982 wieder zusammen, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und das Breslauer Nationalmuseum dagegen erst 1984. Die in den siebziger Jahren beliebten „Tage der Kultur“ fanden sogar erst 1986 wieder statt.

Zwar wurde es in den achtziger Jahren erneut möglich, auch privat nach Polen zu reisen, aber hierfür waren Genehmigungen notwendig. Das Misstrauen gegenüber dem polnischen Nachbarn und die Kontrolle der Begegnungen blieben bis zum Ende der SED-Herrschaft auch für die Städtepartnerschaft bestimmend. Selbst der Kinder- und Jugendaustausch, den die Bezirke und Kommunen organisierten, wurde mit inoffiziellen Stasi-Mitarbeitern durchsetzt.

Zehntausende auf dem Theaterplatz: Dialog mit Modrow und Berghofer am 23. Oktober 1989, Foto: Marian Günther, Stadtmuseum Dresden, Museen der Stadt Dresden

Friedliche Revolutionen

Im Herbst 1989 wiederholte sich in gewisser Weise in der DDR, was in Polen schon 1980/81 geschehen war: Die Menschen gingen für ihre Freiheit auf die Straße und fegten – diesmal erfolgreich – die sozialistische Diktatur hinweg. Mit dem Ende der Parteidiktaturen in der DDR und der Volksrepublik Polen begann auch für Dresden und Breslau eine ganz neue Phase ihrer Zusammenarbeit, die bis heute andauert. Aber das ist eine andere Geschichte …

… die Sie noch bis zum 26. Oktober 2025 im Kraszewski-Museum entdecken können:

Sonderausstellung

„Dresden–Wrocław–Drezno–Breslau
Vier Namen. Zwei Städte. 65 Jahre Partnerschaft“
Kraszewski-Museum
Mi – So / Feiertage: 12:00 – 17:00
www.kraszewski-museum.de


Weitere Informationen zur Städtepartnerschaft Dresden–Breslau/Wrocław finden Sie auch in der Publikation „Parteiauftrag: Städtepartnerschaft. Kommunalpartnerschaften zwischen Polen und der DDR und ihre Transformation nach 1989“ von Markus Pieper (496 Seiten, ISBN: 9783753118505, Preis: 42,50 €; pdf-Version: https://opus4.kobv.de/opus4-euv/frontdoor/deliver/index/docld/775/Pieper_Staedtepartnerschaft.pdf).

Die im Text verwendeten Zitate stammen aus folgenden Archiven: Hauptstaatsarchiv Dresden, 11430 BT/RdB Dresden, Nr. 65715, Bericht zum Aufenthalt des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden, Gen. Scheler, am 28.11.1981 in der VR Polen, Wojewodschaft Wroclaw, o. Datum; sowie BStU, MfS, BV Dresden, KD Zittau, Nr. 7395, Abspracheprotokoll, 15.12.1980, S. 112.

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