Gastbeitrag von Daniel Ristau

Das Interview ist Teil der begleitenden Blog-Reihe zur Intervention Rethinking Stadtgeschichte: Perspektiven jüdischer Geschichten und Gegenwarten in der Dauerausstellung des Stadtmuseums Dresden 2021/2022. Angesichts der aktuellen Überlegungen zu einem Jüdischen Museum für Sachsen kommen an dieser Stelle Akteurinnen und Akteure, die sich mit dem Thema beschäftigen, Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden in Sachsen, von Politik und Gesellschaft sowie Expertinnen und Experten mit ihren Standpunkten, Ideen, Kritiken und Perspektiven zu Wort.

Zur Einführung in die aktuelle Museumsdebatte

Der Historiker Mike Schmeitzner, Foto: Ralf Ryter

Zur Person:

Mike Schmeitzner ist gebürtiger Dresdner, hat hier auch Geschichte und Germanistik studiert, promoviert und habilitiert. Er arbeitet seit 1998 am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden. 2010/2011 war er Gastprofessor für Neuere und Zeitgeschichte an der Universität Erfurt und ist seit 2018 außerplanmäßiger Professor für das Fachgebiet Neuere und Neueste Geschichte an der TU Dresden. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehört die Geschichte der Weimarer Republik, des „Dritten Reiches“, der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR, auch und gerade in ihrer regionalen sächsischen Ausprägung. Er hat zur Geschichte der Juden in Dresden im „Dritten Reich“ und zu NS-Tätern in Sachsen veröffentlicht. Schmeitzner ist stellvertretender Sprecher des Wissenschaftlichen Beirats der Stiftung sächsische Gedenkstätten und Sprecher des Wissenschaftlichen Beirats der KZ-Gedenkstätte Sachsenburg.

(1) Was halten Sie von der Idee, ein „jüdisches Museum“ in Sachsen einzurichten?

Ich halte die Idee, jüdische Geschichte und Kultur einem breiten Interessentenkreis zu präsentieren, für uneingeschränkt sinnvoll und notwendig. Denn nach wie vor existieren in unserer Gesellschaft zu viel Nichtwissen, Halbwissen oder gar Feindbildkonstruktionen. Eine solche Einrichtung könnte mithelfen, diese Lücken zu füllen und antijüdische Narrative zu korrigieren. Allerdings muss klar sein, wohin ein solches Museum in der regionalen Verortung überhaupt zielen soll: Soll es ein sächsisches, ein mitteldeutsches oder auch ein Museum für die Grenzregionen sein? Soweit ich sehe, ist die Diskussion darüber gerade erst entbrannt.

(2) Wo und wie sollte jüdische Geschichte und Gegenwart zugänglich gemacht werden?

Ein solches Museum könnte im Alten Leipziger Bahnhof in Dresden etabliert werden, wenn es denn – und das wäre die Voraussetzung – eine sachsenweite Akzeptanz für den Standort Dresden gäbe. Und noch etwas sollte bedacht werden: Ein Jüdisches Museum kann Teil oder meinethalben auch Kern von Vermittlungsabsichten zu jüdischer Geschichte und Kultur sein. Aber es sollte nicht darauf hinauslaufen, dass eine solche Einrichtung bereits bestehende bürgerschaftliche Initiativen und Träger wie HATiKVA e.V. in Dresden oder das Ariowitsch-Haus in Leipzig marginalisiert oder gar ersetzt. Es müsste also ein möglicherweise von Anfang an als dezentral zu denkendes Konzept erarbeitet werden, in dem diese Initiativen und Träger, die seit vielen Jahren ausgezeichnete Arbeit leisten, sich angemessen wiederfinden, vor allem wegen der dort geleisteten Bildungsarbeit.

 (3) Was kann und was sollte präsentiert werden?

Wenn von Geschichte, Kultur und Gegenwart die Rede ist, dann ist es folgerichtig, die lange Präsenz jüdischen Lebens in Sachsen – in Meißen nämlich schon seit dem 11. Jahrhundert – angemessen darzustellen. Da kommt es darauf an, dieses Leben auch als Teil der sächsischen Gesellschaft zu beschreiben und nicht nur als selbstständige, in sich abgeschlossene Geschichte. Dass dem Antisemitismus und der Shoah ein markanter Stellenwert zukommt, versteht sich von selbst, gerade dann, wenn die Einrichtung auf dem Gelände des Alten Leipziger Bahnhofs etabliert werden sollte. Die Impulse, die Jüdinnen und Juden gerade im 19. und 20. Jahrhundert für das künstlerische, wissenschaftliche und politische Leben in Sachsen gegeben haben, müssten sich hier ebenso wiederfinden. Bei all dem ist es wichtig, mit einem weiten Begriff des „Juden“ zu operieren. Denn auch zum Christentum konvertierte oder später konfessionslos gewordene Juden wurden von den Nationalsozialisten als ‚jüdisch‘ behandelt und verfolgt. Ich nenne nur zwei prominente Beispiele: den Romanisten Victor Klemperer und den Begründer des Freistaates Sachsen Georg Gradnauer.

Georg Gradnauer, 1919/1920 erster Ministerpräsident des Freistaats Sachsen, wurde aufgrund seiner jüdischen Herkunft immer wieder als ‚Jude‘ diffamiert, Foto: Stadtmuseum Dresden

(4) Wer soll erreicht werden?

Wichtig wäre es, so viele Menschen wie möglich, aus allen Altersgruppen und sozialen Schichten zu erreichen, vor allem aber Jugendliche und junge Erwachsene, um auf diesem Wege die oben genannten Wissenslücken auszugleichen und verbreiteten abseitigen Narrativen wie Stereotypen entgegenzuwirken.

(5) Wenn Sie ein museales Objekt auswählen könnten, das Sie als besonders aussagekräftig für Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens halten, welches wäre das – und warum?

Ich könnte mir vorstellen, dass ein Exemplar einer in Sachsen veröffentlichten jüdischen Zeitung oder Zeitschrift ausgestellt wird, vielleicht also eine Ausgabe der „Leipziger Jüdischen Wochenschau“, die bis 1933 existierte, oder aber ein Exemplar des Gemeindeblattes der Dresdner Israelitischen Religionsgemeinde. Besonders ist an einem solchen Ausstellungsstück neben allen Informationen zur Geschichte jüdischen Lebens vor Ort gerade die jüdische Perspektive auf die Entwicklungen ihrer Zeit. Und auch in der Museumsfrage ist eine ‚jüdische Perspektive‘ unbedingt erforderlich: Was also sagen Jüdinnen und Juden in Sachsen zu der Idee? Welche Schwerpunktsetzungen würden sie favorisieren? Außerdem sind beide Blätter inzwischen digital zugänglich, eröffnen damit also auch virtuell einen Raum für die Beschäftigung mit jüdischer Geschichte.

Kopf der Titelseite der ersten Ausgabe des Gemeindeblattes der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden 1925 (Gemeindeblatt der IRG Dresden)

(6) Was sollte in der Debatte um ein Jüdisches Museum als nächstes passieren?

Es müsste eine breite Debatte in der Gesellschaft geführt werden. In Dresden hat diese gerade erst begonnen. Expertinnen und Experten, Kulturschaffende sowie Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden müssen über Inhalte sprechen. Es müsste im Zuge dieser Debatte auch baldmöglichst geklärt werden, ob das Museum in Dresden oder in Leipzig errichtet werden soll. Gegenseitige Blockaden wären hier verhängnisvoll. Vielleicht ergeben sich daraus ja auch noch ganz andere Formate, über die jüdisches Leben vermittelt werden kann.