Die Melodie des bekannten Evergreens Theo, wir fahr’n nach Lodz aus den 70er Jahren ist den meisten von uns bekannt. Die polnische Stadt Lodz, ihre deutsch-polnische Geschichte und der erstaunliche Einfluss deutscher Siedler auf die rasche Entwicklung der Stadt zur Textilmetropole im östlichen Teil Europas blieb jedoch bisher eher unbekannt.

Die Sonderausstellung unter dem gleichnamigen Titel erzählt vom Erbe der deutschen Industriellen, insbesondere der Familie Grohmann aus Sebnitz bei Dresden und ihrem beachtlichen Beitrag zur industriellen und kulturellen Entwicklung der Stadt, die heutzutage die Stadt der vier Kulturen genannt wird.

Eingangsbereich der Ausstellung im Kraszewski-Museum, Foto: Museen der Stadt Dresden / Arlet

Lodz – eine (un)bekannte Stadt

Lodz, im Zentrum Polens gelegen, ist nicht nur die drittgrößte Stadt des Landes, sondern kulturell wie auch historisch betrachtet ein überaus interessanter Ort. Sie ist unzertrennlich verbunden mit großen Namen aus der Filmindustrie, der Musik und anderen Gebieten. Roman Polanski, Krzysztof Kieslowski, Andrzej Wajda, Krzysztof Zanussi, Artur Rubinstein oder Jan Karski sind nur einige der unzähligen berühmten Persönlichkeiten, die die Stadtgeschichte prägten.

Lodz ist das Zentrum des polnischen Films. Aus diesem Grund trägt sie auch den Spitznamen HollyLodz. Die Stadt ist ebenfalls bekannt durch die Kunst- und Industrieakademie. Sie ist eine kosmopolitische Stadt, mitten in Europa. Bis zum 2. Weltkrieg war sie ein Schmelztiegel unterschiedlicher Nationalitäten.

Lodz – der deutsch-polnisch-jüdische Schmelztiegel

Anfang des 19. Jh. war Lodz eine kleine Industrieansiedlung, genannt Lodka (kleineres Boot). Zu Beginn des 1. Weltkrieges zählte die Stadt eine halbe Million Einwohner. Doch wie kam es zu der unglaublichen Entwicklung der Stadt? Das Modernisierungsprogramm von 1830 basierte auf Webern, die aus Deutschland kamen und schuf administrative Anreize für ausländische Einwanderer, die sich in der Stadt niederließen und investierten.

Dabei waren die Siedler keine homogene Gruppe. Sie unterschieden sich voneinander im Dialekt, der Religion und ihrem Lebensstandard. Sie brachten jedoch die nötige Berufserfahrung und das technische Wissen mit.

Den größten Zuwachs erlebte die Stadt 1836, als bis zu 70% der Einwohner von Lodz deutsche Siedler waren. In der zweiten Hälfte des 19 Jh. bestand das Bürgertum der Stadt größtenteils aus Deutschen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrug der Anteil der Deutschen ca. 20 % der Stadtbevölkerung.

Die deutschen Einwanderer gründeten kleine Webereien, die sich mit der Zeit in große Industriebetriebe verwandelten. Sie schufen damit viele Arbeitsplätze. Dabei vergaßen sie nicht ihre Kultur, Sprache sowie Religion zu pflegen. Sie bauten evangelische Kirchen, deutsche Schulen und gründeten Kultur- und Sozialvereine. Sie finanzierten Krankenhäuser und Wohnsiedlungen für ihre Arbeiter in der Stadt.

Zu den mächtigsten deutschen Familien in Lodz gehörten die Familien Scheibler, Biedermann, Geyer, Grohman, Anstädt und Kindermann. Sie hinterließen prächtige Denkmäler, darunter Kirchen, Fabriken und Paläste.

Das Monument Lodzer Fabrikanten, Begründer der Lodzer Industrie – Karol Wilhelm Scheibler, Izrael Pozanski, Henryk Grohmann (stehend). Aufgestellt im September 2002 an der Piotrkowskastraße (Hauptstraße), Entwurf: Marcel Szytenchelm, Fotograf: Adam Klimczak
Blick in einen Ausstellungsraum, Foto: Museen der Statd Dresden / Arlet

In der Ausstellung im Kraszewski-Museum wird die geschäftstüchtige Emigrantenfamilie Grohmann aus Sebnitz besonders hervorgehoben. Traugott Grohmann installierte in der Stadt die zweite Dampfmaschine und gründete 1854 eine Spinnerei. Nach dem Tod von Traugott übernahm sein Sohn Ludwik die Geschäfte. Er gründete die erste Feuerwehr in seiner Familienfabrik, war Mitbegründer der Freiwilligen Feuerwehr in Lodz und gründete die Handelsbank und die Kreditgesellschaft der Stadt.

Nach seinem Tod übernahm sein ältester Sohn Henryk Grohman die Geschäfte.

Er war eine der herausragendsten und schillerndsten Persönlichkeiten dieser Familie. Er war es, der als Erster feines Garn produzierte. Er baute ein Textilimperium auf, indem er mit anderen deutschen Industriellen, wie Karol Scheibler fusionierte. So entstand das größte Textilunternehmen der boomenden Textilmetropole. In den Fabriken produzierte man Popeline, Musselin, Batist Ballonstoffe, Stoffe für Wintermäntel und vieles mehr.

Grohmanns Betriebe – Panorama, Litographie, 20er bis 30er Jahre des 20. Jh.
Bronisław Wilkoszewski, „Ansichten der Stadt Łódź“ – Baumwollwarenfabrik von Henry Grohmann, 1896. Öffentlich zugänglich. Eigentum des Museums der Stadt Łódź.
Werbebroschüre der Vereinigten Textilfabrik von K. Scheibler und L. Grohmann, Zwischenkriegszeit des 20. Jh., aus dem Archiv von Paweł Spodenkiewicz

Henryk Grohman war nicht nur ein ausgezeichneter Manager, sondern auch Kunstliebhaber. Er war mit Schriftstellern und Musikern befreundet. Er kaufte und sammelte Kunstwerke und Musikinstrumente. Zu seiner Sammlung gehörten u.a. Stradivari und Guarneri Geigen. Er unterstützte auch die Musikschulen in Lodz und die Warschauer Oper finanziell.

Die Familienvilla der Grohmans beherbergte seit 1991 das Internationale Künstlermuseum. Die Idee zu seiner Gründung geht auf das internationale künstlerische und gesellschaftliche Ereignis „Construction in Process“ zurück (Łódź 1981), das aus den positiven und optimistischen Konzepten der Zwischenkriegs- und Nachkriegsavantgarde und solcher Künstler wie Władysław Strzemiński, Wassily Kandinsky, Franciszek Kupka, Walter Gropius, Ad Reinhardt, Robert Smithson, John Cage, Joseph Beuys und Allen Ginsberg erwuchs. Diese Künstler überschritten die Grenzen nationaler Kulturen und schufen ein Gefühl der geistigen Solidarität und Verbundenheit zwischen Künstlern und Gesellschaften.

Das Künstlermuseum war ein einzigartiges „Museum ohne Wände“, das ein weltweites Netzwerk der Verständigung und Kommunikation zwischen Künstlern und Intellektuellen aus verschiedenen Bereichen der Kunst und Kultur darstellte. Dieses Netzwerk wurde von den autonomen Büros des Internationalen Künstlermuseums in aller Welt gebildet: in Berlin, Bydgoszcz, Dublin, Eindhoven, Melbourne, Moskau, Paris, Tel Aviv und New York. Seit der Gründung des Filialnetzes des Museums ist das Kunstereignis „Construction in Process“ zu einer Art mobilem transnationalem Kunstfestival und einem aktiven Fest der Künstler geworden. Bis zum Ende seines Bestehens 1997 initiierte und organisierte das Museum im ehemaligen Haus der Grohmans wichtige internationale Kunstveranstaltungen, Ausstellungen und Projekte mit dem Schwerpunkt auf der Frage nach der Erweiterung der Grenzen der Kunst, soziokulturellen Themen, Gemeinschaftsaktivitäten und der Identität des Individuums in der Zeit nach dem Fall der Berliner Mauer und der alten politischen und wirtschaftlichen Systeme.

Seit 1993 befindet sich in der Familienvilla der Grohmans das Kunstbuchmuseum. Es wurde als ein Ort der Inspiration und Förderung der Idee des Kunstbuches und der Übereinstimmung der Künste gegründet. Die einzigartige Publikation „Jacob Böhmes Offenbarungen über Gott, das Nichts und die Natur, auch über die menschliche Seele und den menschlichen Körper“ mit Grafiken von Igor Podolczak wurde 1994 als schönstes Buch der Welt ausgezeichnet, und die American Printing History Association (APHA) ehrte das Museum des Kunstbuches in Łódź mit einem Preis für herausragende Leistungen auf dem Gebiet des Druckereiwesens.

Lodz als Inspiration für die Künstlerwelt

Die multikulturelle Geschichte der Stadt und somit ihre beispiellose Entwicklung faszinierte und inspirierte schon immer Schriftsteller, Filmemacher und Künstler.

Den Aufstieg der Stadt reflektierte der polnische Nobelpreisträger Wladyslaw Reymont in seinem Roman „Das gelobte Land“ aus dem Jahr 1898. Auch in der Verfilmung unter dem gleichen Titel von Andrzej Wajda aus dem Jahr 1974 wurde die Geschichte der Stadt wiedergegeben.

In der Ausstellung werden Filmplakate in mehreren Sprachversionen aus der Sammlung des Museums für Kinematografie in Lodz präsentiert. Sie zeigen die internationale Reichweite der Verfilmung von A. Wajda.

Die Faszination der zeitgenössischen Künstler für das Lebenswerk von Henryk Grohmann spiegelt ein Jubiläumsbuch wider, entworfen zum 150. Geburtstag des Kulturmäzens und Kunstkenners durch den bekannten Lodzer Künstler Janusz Tryzno. Das Unikat mit einer beidseitigen Backsteinbindung, eingefalteten Seiten und dreidimensionalen Fotos wurde durch das Kunstbuchmuseum in Lodz für die Präsentation in Dresden zur Schau bereitgestellt.

Neue Partner gefunden

Das Kraszewski-Museum konnte dank der Vorbereitungen zur Sonderausstellung „Theo, wir fahren nach Lodz“ seinen Kreis der Partnermuseen aus Polen erweitern. Für die Unterstützung bei der Umsetzung der Ausstellungskonzeption danken wir dem Museum der Stadt Lodz, insbesondere Adam Klimczak, dem Zentralen Museum für Textilindustrie, dem Museum für Kinematografie sowie dem Kunstbuchmuseum in Lodz. Das Kraszewski-Museum, ein Ort des deutsch-polnischen Dialoges, lädt zur Besichtigung der Sonderausstellung noch bis zum 12. September ein. Anschließend steht einer Studienreise nach HollyLodz nichts mehr im Weg!

Ausstellungsansicht, Foto: Museen der Stadt Dresden / Arlet